Die Fraktion DIE LINKE./Piraten stellt zur Kreistagssitzung am 23. August 2017 folgenden Antrag:
Der Kreistag möge beschließen:
Rehabilitierung von Frau Barbara Degen, Leiterin der VHS Friedberg von 1971 bis 1974 – Erster Hessischer Berufsverbotsfall.
1. Der Kreistag des Wetteraukreises stellt fest, dass das Berufsverbot gegen Frau Degen unverhältnismäßig war und entschuldigt sich in aller Form für die damalige politische Diffamierung.
2. Der Kreistag spricht eine politische Rehabilitierung für Frau Degen aus. Die Gewerkschafterin und Kommunistin verstieß zu keiner Zeit gegen das Grundgesetz und die Hessische Verfassung. Das Berufsverbot gegen Frau Degen war im Gegenteil schädlich für das demokratische Klima Hessens und der Bundesrepublik.
3. Der Kreistag setzt sich dafür ein, dass Frau Degen eine finanzielle Entschädigung seitens der Landesregierung zugesprochen wird, damit wenigstens ein Teil der monetären Verluste ausgeglichen werden kann, die ihr durch das Berufsverbot entstanden sind.
4. Der Kreistag des Wetteraukreises setzt sich dafür ein, dass vom Berufsverbot betroffene Personen Einsicht in ihre Verfassungsschutzakten erhalten, bzw. dass diese Akten an sie herausgegeben werden.
Begründung:
1941 in Posen geboren, studiert Barbara Degen 1961 bis 1966 in Frankfurt und Göttingen Rechtswissenschaft. Sie wurde Mitglied im Weiberrat des SDS, engagierte sich gegen das Abtreibungsverbot (§ 218 StGB) und wurde zunächst SPD-Mitglied. In ihrer Referendarzeit trat sie in die Gewerkschaft ein, der sie bis heute angehört.
1972, als die Ministerpräsidenten der Bundesländer unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Willy Brandt am 28. Januar den sogenannten Radikalenerlass verabschiedeten, wechselte Barbara Degen zur DKP.
Seit 1971 war Barbara Degen Leiterin der Kreisvolkshochschule Friedberg. 1973 begann sich die örtliche CDU-Fraktion auf „die Kommunistin“ einzuschießen, verbreitete in Pressekampagnen Zweifel an ihrer Verfassungstreue. DGB und GEW leisteten solidarische Unterstützung aber die örtliche SPD schwenkte auf die CDU-Kampagne ein. Ende 1974 wurde Barbara Degen der erste Berufsverbotsfall in Hessen. 130 weitere hessische Berufsverbotsfälle sollten folgen.
Aufgrund des Radikalenerlasses wurden Bewerber/innen für den öffentlichen Dienst der so genannten „Regelanfrage“ beim Verfassungsschutz unterzogen. Bundesweit erfolgten mehr als 3, 5 Millionen Anfragen auf politische Überprüfungen durch den Verfassungsschutz. Dieses Vorgehen hat auch in Hessen bei den nachfolgenden Generationen und ihrem politisches Engagement Spuren hinterlassen. Viele Menschen wurden davon abgehalten, sich in der außerparlamentarischen oder parlamentarischen Linken, bei antifaschistischen und antirassistischen Organisationen oder anderen demokratischen Projekten zu engagieren. Jahre später nannte Brandt den Radikalenerlass einen „Irrtum“. Aber diese Art der politischen Säuberung, der Bespitzelung und Ausgrenzung politisch unliebsamer Beschäftigter, prägte für Jahre und Jahrzehnte ein Klima der Einschüchterung.
Der Radikalenerlass führte zum Berufsverbot für viele Menschen, die als Lehrerinnen und Lehrer, in der Sozialarbeit, als Post- oder Bahnbeschäftigte oder in der Rechtspflege tätig waren bzw. sich auf einen solchen Dienst vorbereiteten. Keinem einzelnen der vielen Betroffenen konnte vor Gericht jemals eine konkrete Verfehlung nachgewiesen werden. Trotzdem haben sich die Behörden bei keiner/keinem der Betroffenen jemals entschuldigt und niemand ist offiziell rehabilitiert worden!
Die erste rot-grüne Landesregierung in Hessen beendete den Radikalenerlass und alle dazu ergangenen Beschlüsse in der Praxis.
Im Januar 2017 jährte sich nun die Einführung der Berufsverbote zum 45. Mal.
Das „Bündnis gegen Berufsverbote Hessen“ hat zu diesem Anlass – gemeinsam mit Berufsverbotsbetroffenen – dem Hessichen Landtag eine Erklärung mit einer Reihe von Forderungen übergeben. Diese wurde von Vertreterinnen und Vertretern der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, der Linken und der SPD entgegengenommen.
Die Forderungen beziehen sich auf
• die öffentliche Aufarbeitung der hessischen Geschichte
• die Rehabilitation und finanzielle Entschädigung der Betroffenen
• die Herstellung des umfassenden Rechts auf Einsichtnahme in die Akten des Verfassungsschutzes für alle Betroffenen und eine Beendigung der bis heute praktizierten Überwachung durch den Verfassungsschutz.
Der Niedersächsische Landtag hat auf Antrag der Linkspartei mit den Stimmen von SPD und Grünen eine Beauftragte eingesetzt, die die Rehabilitierung der einzelnen Betroffenen überprüfen und vorschlagen soll. Der Hessische Landtag dagegen hat einen vergleichbaren Antrag mit den Stimmen von CDU und Grünen abgelehnt!
Dennoch stellte die schwarz-grüne Koalition Hessen fest, dass Berufsverbote „spätestens seit dem Jahr 1979 in Hessen als unverhältnismäßig“ anzusehen seien.
Im Falle der ehemaligen Leiterin der Volkshochschule Friedberg erwarten wir vom Kreistag des Wetteraukreises eine Entschuldigung und die politische Rehabilitierung.