Karben für die Zukunft ausrichten!

Haushaltsrede der linken Stadtverordneten Gabi Faulhaber
in der Stadtverordnetenversammlung am 10. Dezember 2021

Frau Lenz, Herr Rahn, sehr geehrte Damen und Herren!

Herr Beck will von der Opposition vier Punkte hören, die in Karben gut sind. Mir sind zahlreiche Punkte eingefallen. Diese vier gefallen mir am besten:
1. Karben ist eine Stadt der Vielfalt. Menschen aus vielen Nationen leben hier zusammen. Es gibt eine aktive Ausländervertretung. Das ist gut so.
2. Die Nidda-Renaturierung und die Biber in Petterweil machen mir viel Freude.
3. Dass der Bürgermeister die Conti-Belegschaft unterstützt hat in ihrem Kampf um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze – das finde ich gut. Die CDU habe ich allerdings vermisst.
4. Den Ausbau der Radwege finde ich gut. Doch innerorts wäre da noch einiges nötig.

Aber jetzt zur Haushaltssatzung für 2022:

Meine Damen und Herren,

Zunächst mal möchte ich mich für die übersichtliche Aufstellung des Haushalts bedanken.
Und auch für die Bemühungen, die vielen Fragen zu beantworten.
An der handwerklichen Erstellung der Haushaltssatzung gibt es nichts zu bemängeln.

Was ich heute anmerken möchte, bezieht sich auf die grundlegende Ausrichtung der Politik in Karben. Hier wünsche ich mir eine veränderte Schwerpunktsetzung und das müsste sich folgerichtig dann auch im Haushalt niederschlagen.

Meine Damen und Herren,
dass es sich in Karben gut leben lässt, trifft für eine gut situierte Mittelschicht zu.
Es trifft für Menschen zu, die sich ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung leisten können. Hier im engeren Einzugsgebiet von Frankfurt finden sich genügend Interessenten, die durch hohe Preise nicht abgeschreckt werden.
Seit langem ist zu beobachten, dass genau diese Entwicklung, genau diese Zusammensetzung der Bevölkerung, politisch gewollt ist.
Es wird Sie sicher nicht verwundern, meine Damen und Herren, dass DIE LINKE. andere Vorstellungen von Stadtentwicklung hat.

Wir meinen, dass Karben auch für die Menschen eine Stadt zum leben sein muss, die nicht so gut situiert sind. Die sich keine Luxuswohnung in Bahnhofsnähe leisten können. Die kein Einfamilienhaus bauen können. Wir wollen eine Verschiebung der Schwerpunktsetzung in der Wohnungspolitik auf die Menschen, die eine bezahlbare Mietwohnung brauchen.
Bezahlbar meint – so sagen es der Mieterbund und die Sozialverbände – dass nicht mehr als ein Drittel des Haushaltseinkommens für Miete aufgebracht werden muss.
Natürlich begrüßen wir, dass inzwischen im Stadtzentrum Mietwohnungen geplant sind und dabei auch eine Anzahl sozial gebunden sein soll.
Wir haben lange dafür gearbeitet, dass die Wohnraumproblematik für niedrigere Einkommen zur Kenntnis genommen wurde und nicht länger völlig ignoriert wird.
Aber das kann nur ein Anfang sein!

Noch immer wird der Einfamilienbebauung Vorrang gegeben. Noch entstehen Eigentumswohnungen im oberen Preissegment. Hier wird mit dem großen Bedarf argumentiert.
Aber welchen Bedarf es für bezahlbare Mietwohnungen gibt, ist Ihnen offensichtlich nicht bekannt.
Meine Damen und Herren,
wenn Sie die Entwicklung in und um Frankfurt verfolgt hätten, wüssten Sie, dass die Hälfte der Haushalte mit ihrem Jahresnettoeinkommen unter 25.000 Euro bleibt. Bei einem solchen Einkommen darf die Miete nicht arm machen! Zumal besonders Haushalte mit Kindern Probleme haben. Die Kinderarmut liegt inzwischen bei fast 20 Prozent. Nur 17 Prozent haben ein Jahresnettoeinkommen über 50.000 Euro.
Dann bleiben noch die rund 33 Prozent, die ein mittleres Einkommen zwischen 25 und 50 Tausend Euro haben. Die Quelle für diese Zahlen ist übrigens der Hessische Rechnungshof.

Wenn unsere kommunale Planung diese Einkommensstrukturen berücksichtigen würde, ist klar: für die Mehrzahl der Menschen braucht es Mietwohnungen.
Und zwar bezahlbare Mietwohnungen!
Hierauf muss der Schwerpunkt gesetzt werden und nicht auf Einfamilienhäuser oder teure Eigentumswohnungen.
Das erfordert unserer Meinung nach aber auch, dass man wegkommt von der Vergabe an private Investoren, die natürlich nur bauen, wenn sie möglichst gute Profite machen.
Das erfordert, dass die Karbener WoBau selbst mehr baut. Und dass mit Wohnungsbau-gesellschaften zusammengearbeitet wird, die eher dem Gemeinwohl verpflichtet sind. 
Wir sehen, dass Sie im Stadtzentrum einen Anfang gemacht haben. Aber eben nur einen Anfang.

Meine Damen und Herren,
ein weiterer Punkt, auf den mehr Augenmerk gelegt werden muss, sind die Flächen in Karben.
Wir haben beantragt, dass zukünftig in der Stadtplanung Freiflächen eine größere Beachtung finden sollen.
Wenn selbst die Konrad-Adenauer-Stiftung in ihren Überlegungen und Konzepten zur Stadtplanung die Bedeutung von Freiflächen besonders hervorhebt, dann sollte vielleicht der Ablehnungsreflex der CDU Karben zumindest etwas herabgesetzt sein…
Sie können in unserem Antrag lesen, welche Maßnahmen wir uns für die Stadtplanung vorstellen und warum. Deshalb will ich nur kurz auf die Begründung eingehen:

Die Stadt Karben wird wachsen, denn sie ist Teil der Metropolregion Rhein-Main.
Wenn wir eine Stadt im Grünen bleiben wollen, muss jetzt begonnen werden, Freiflächen mitzuplanen.
Und mehr noch: Auf die zu erwartenden Klimaveränderungen sollten wir uns einstellen und den negativen Klimafolgen entgegenwirken.
Freiflächen haben dabei mehrere günstige Funktionen: Sie sind Luftleitbahnen und Frischluftschneisen für den Luftaustausch, nehmen mehr Niederschlagswasser auf, wirken gegen Hitzebelastung und helfen den Menschen mit den negativen Folgen des Klimawandels besser fertig zu werden.
Ich hebe mal die Hitzebelastungen hervor:
Sie betreffen besonders ältere Menschen – also die Bevölkerungsgruppe, die in Karben wächst.
Zu den Planungsgrundlagen für ein seniorengerechtes Karben muss auch gehören, dass die negativen gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels auf Seniorinnen und Senioren reduziert werden.

Zum Thema Freiflächen gehören zudem auch sozial nutzbare Flächen innerhalb der Ortschaften.
Wir haben mit unserem Antrag für einen Treffpunkt in Petterweil versucht, diese Notwendigkeit aufzuzeigen.
In den letzten 20 Jahren legen Stadtentwicklungsplanungen vermehrt großen Wert auf Sozialräume.
Reine Wohngemeinden ohne öffentliche Treffpunkte befördern Vereinsamung – insbesondere in der Gruppe der Seniorinnen und Senioren und der Alleinstehenden.
Einsamkeit ist nicht nur in Coronazeiten ein Thema, sondern war es auch zuvor.
Das Thema Einsamkeit wird derzeit breit diskutiert. Zahlreiche wissenschaftliche Stiftungen, Fakultäten von Universitäten und Sozialverbände fordern von Kommunen, offene Räume für Begegnung zu schaffen und das bei ihrer Stadtplanung mitzudenken.
Menschen brauchen soziale Kontakte. Nicht jeder will in die Kneipe gehen bzw. kann sich ein kommerzielles Angebot leisten. Manche sind keine Vereinsmenschen. Und der Friedhof ist auch nicht gerade der ideale Treffpunkt.

Meine Damen und Herren,
ein paar Sätze will ich auch zum Verkehr sagen.
Denn auch das ist ein Thema, das mit Sicht auf den Klimawandel ein Schwerpunkt der Stadtentwicklung sein müsste.
Jetzt gab es viele Ideen zum Ausbau und zur Verbesserung des Radwegenetzes.
Das ist sehr zu begrüßen! 
Verkehr ist aber mehr als Radverkehr.
Dabei hatte Karben schon gute Konzepte, die leider wieder zurückgefahren wurden.
Wer will, dass möglichst viele Menschen auf die Öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen, der muss dazu Anreize schaffen.
Dass der Park&Ride-Platz am Bahnhof kostenfrei war, dass der innerstädtische Bus nur 1 Euro gekostet hat – das waren sehr gute Ansätze. Den Rückzug daraus bedauern wir nicht nur – wir finden ihn völlig falsch.
Wenn wir 1,5 Grad wirklich als Limit für Erderwärmung ansehen, dann spielt eine Verkehrswende – weg vom Individualverkehr – eine besonders große Rolle.
Was wir in Karben dafür tun können, hatten Sie mit diesen guten Maßnahmen in Angriff genommen.
Wir sehen auch beim Verkehr die Notwendigkeit, die Schwerpunktsetzung in Karben zu verändern. Diesmal aber konsequent.

Zuletzt noch was zu einem anderen Klima – nämlich dem Klima in diesem Parlament.
Sie wissen, ich habe einige Vergleichsmöglichkeiten.
Ich will mal sagen: bei den demokratischen Gepflogenheiten ist noch Luft nach oben.
Unbenommen haben Sie von der CDU die Mehrheit. Dennoch kennt das System der Demokratie die wichtige Funktion einer Opposition.
Opposition ist nicht Mist. Opposition ist Korrektiv.
Und ob es wirklich demokratisch ist, der Opposition ausgerechnet in der Haushaltsdebatte kleinlich die Redezeit beschneiden zu wollen, das sei dahingestellt.
Nochmal: Zweifellos hat in Karben die CDU die Mehrheit. Ob das auch zur Überheblichkeit verführen muss, das würde ich negativ beantworten.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.