Jobcenter: Wetteraukreis muss Verantwortung übernehmen

Kreistagssitzung vom 5. Dezember 2012

Die Koalition verfasste nun einen eigenen Antrag zum Jobcenter.
Unseren alten Antrag haben wir zu Gunsten des Koalitionsantrags zurückgezogen, damit der Weg für eine Kontrolle des Jobcenters frei gemacht wurde.

Dies ist der Koalitionsantrag:
Das Jobcenter soll zweimal jährlich im Fachausschuss Jugend, Soziales und Gesundheit über die Arbeitsmarktpolitik im Wetteraukreis berichten. Es sollen zum einen die Planungen und Programme für das neue Jahr vorgestellt und zum anderen eine Bilanz der stattgefundenen Arbeitsförderungs-Projekte und
-Maßnahmen vorgelegt werden.
Der Kreisausschuss wird als Mitgesellschafter beauftragt, mittels Zielvereinbarungen zu erwirken, einen bestimmten Servicestandard im Jobcenter zu garantieren. Unter anderem soll damit die Verbesserung der telefonischen Erreichbarkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie mehr Transparenz bei der Antragsbearbeitung bis hin zur Erstellung des Bescheids erreicht werden.“

Dieser Antrag ist – besonders im Teil 2 – noch unkonkret.
Deshalb haben wir eine Ergänzung beantragt:

Der zweite Abschnitt wird ergänzt:
Der Kreisausschuss wird als Mitgesellschafter beauftragt, mittels Zielvereinbarung zu erwirken, einen bestimmten Servicestand im Jobcenter zu garantieren.
Unter anderem sollen damit grundlegende Standards erreicht werden, wie
– telefonische Erreichbarkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
– grundsätzlich Eingangsbestätigungen für Unterlagen zu geben
– eine kurze Bearbeitungszeit zu garantieren
– die Kundinnen und Kunden über alle ihnen zustehenden Leistungen ausreichend und rechtzeitig zu beraten
Darüber hinaus soll die Transparenz der Maßnahmen im Jobcenter verbessert und die Mitsteuerung des Kreises über Zielvereinbarungen ausgebaut werden.“

Diese Ergänzungen wurden von den anderen Parteien abgelehnt. Doch unser Antrag ermöglichte, dass wir die Probleme im Jobcenter nochmal in der Sitzung öffentlich benennen konnten. Die Rede unserer Fraktion ist auf dieser homepage unter Kreistag/Reden zu finden.

Wichtig ist jetzt darauf zu achten, dass wirklich Mitsprachemöglichkeiten entstehen und genutzt werden. Und noch wichtiger ist, dass die Probleme im Jobcenter für die Hilfesuchenden abnehmen.

 

Antrag zur Kontrolle des Jobcenters.

DIE LINKE. stellt zur Kreistagssitzung am 29. August 2012 folgenden Antrag:

Der Kreistag beauftragt den Dezernenten für Soziales Herrn Betschel-Pflügel und die Kreistagsabgeordneten, die derzeit Mitglieder im Beirat des Jobcenters sind, die folgenden Punkte im Beirat anzusprechen und Wege zur Abhilfe einzufordern:

1.  Immer wieder werden Menschen an der Pforte abgewiesen und gelangen gar nicht zu einer Beratung. Sie erhalten keine Antragsunterlagen. Sie bekommen keinen Termin mit eine/r/m Sachbearbeiter/in.

2.  Die telefonische Erreichbarkeit der Sachbearbeiter/innen ist nur sehr eingeschränkt gegeben. Termine können deshalb oft nicht telefonisch ausgemacht werden.

3.  Auffällig häufig gehen Unterlagen „verloren“. Hilfesuchende beklagen, dass sie ihre Unterlagen per Einschreiben schicken oder persönlich abgeben und eine schriftliche Eingangsbestätigung fordern müssen. Problematisch ist, dass abgegebene „verlorene“ Unterlagen zu Sanktionen führen.

4.  Die Mitarbeiter/innen des Jobcenters rotieren und die Hilfesuchenden sehen sich alle zwei bis drei Monate eine/r/m anderen Sachbearbeiter/in gegenüber. Die Beratungsqualität und die Verlässlichkeit leiden unter diesen Bedingungen.
Urlaubs- oder Krankheitsvertretungen gibt es nicht immer.

5.  Zahlreiche Mitarbeiter/innen haben keine ausreichenden Kenntnisse der komplizierten Materie des SGB II. Deshalb werden viele Hilfesuchende nicht ausreichend beraten und ihren Ansprüchen wird nicht genüge getan.
Beispiele: Sie erhalten fehlerhafte Bescheide oder werden nicht auf die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets hingewiesen. Es wird nicht erklärt, wie Anschlussanträge für den Leistungsbezug zu stellen sind usw.

Eine Weiterqualifizierung der Mitarbeiter/innen ist freiwillig.

Zur Information: Es gibt 6 Mitarbeite/innen im Jobcenter, die von der Post und Telekom kommen und auf Lebenszeit verbeamtet sind. Es sind derzeit 12 Personen mit befristetem Vertrag beschäftigt und weitere 12 projektbezogen für „Chance 50+“ – also auch befristet.

6.  Ein großes Problem ist die Sanktionspraxis für die Betroffenen. Oft führen Kleinigkeiten dazu, dass Geld von der Grundsicherung abgezogen wird.
Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass Sanktionen verfassungswidrig sind, da der Regelsatz Hatz IV bereits das Existenzminimum darstellt und nicht mehr unterschritten werden kann. (BVerfG Karlsruhe, 09.02.2010, 1 BvL 1/09 – 1 BvL 3/09 – 1 BvL 4/09).
Die bisherige Praxis in den Jobcentern ist, nicht mehr als 30% der Hilfen zu kürzen. Einzelne Hilfesuchende berichten von Kürzungen bis 50% der Grundsicherung.

     Die Frage ist auch wichtig, ob bei Sanktionen Lebensmittelgutscheine gegeben werden.

7.  Derzeitige Praxis des Jobcenters ist, ein Kautionsdarlehen zu gewähren, wenn die Wohnungsmiete innerhalb der Mietobergrenzen des Wetteraukreises liegt. Das gewährte Darlehen wird dann in Raten von 20 bis zu 50 Euro von der Grundsicherung abgezogen,
bis es getilgt ist.
Diese Vorgehensweise des Jobcenters ist unzulässig. Das Bundessozialgericht fällte im März 2012 ein Urteil, in dem festgestellt wird, dass die Tilgung durch Aufrechnung sowie das Verlangen, eine Verzichtserklärung bei der darlehensweisen Genehmigung einer Mietkaution unzulässig sind. (Az.: B 4 AS 26/10 R, vom 22.3.2012). Es können nicht Teile der laufenden Leistungen nach SGB II zur Tilgung des Darlehens einbehalten werden, da die Grundsicherung unpfändbar ist und das Existenzminimum darstellt.
Laut Gericht können Mietkautionen als Darlehen erbracht werden ohne gleichzeitig die Tilgung aufzunehmen. Aus den Darlehensregelungen im SGB II ergibt sich, dass die Tilgung eine den Kosten der Unterkunft und Heizung zuzuordnende Leistung ist und nicht aus der laufenden Regelleistung erfolgen kann. Die von dem Grundsicherungsträger darlehensweise übernommene Mietkaution wird dem Leistungsberechtigten erst nach Beendigung des Mietverhältnisses von dem Vermieter erstattet. Er hat somit keine Möglichkeit, hierüber zu verfügen und auftretende Bedarfe zu decken. Eine Rechtfertigung für eine vor diesem Zeitpunkt einsetzende Rückzahlungspflicht des Leistungsberechtigten gegenüber dem SGB II-Träger ist daher nicht erkennbar.

8.  Darlehen an Hilfesuchende dürfen 10% der Grundsicherung nicht übersteigen. Es gibt für viele Dinge Darlehen, zum Beispiel für die Anschaffung neuer Elektrogeräte.
Betroffene berichten, dass sie monatlich bis zu 50 Euro Darlehen zurückzahlen müssen.

9.  Beim Bildungs-und Teilhabepaket wissen viele Hilfeempfänger gar nicht, wie man das beantragt. Sie haben keine Informationsbroschüre oder Schreiben erhalten,

     sie werden nicht „freiwillig“ entsprechend beraten, die Sachbearbeiter/innen wissen oft selbst nicht Bescheid.
Es gibt außerdem zu viele Formulare. Herr Wiedemann sicherte der Linken bei einem Besuch im Jobcenter zu, dass in Zukunft die Unterlagen für das Bildungs- und Teilhabepaket mit dem Antrag auf Hartz IV ausgehändigt werden sollen. Dies wäre eine Verbesserung. Wenn die Unterlagen auch noch in Leichter Sprache verfasst wären, würde das den Zugang zu den Leistungen des  Bildungs- und Teilhabepakets sicherlich erleichtern.
Es wäre auch im Beirat zu klären, dass das Bildungs- und Teilhabepaket zwar den Beitrag für den Sport-oder Musikverein beinhaltet aber nicht die Sportbekleidung, ein Sportgerät oder ein Instrument. Diese teuren Utensilien müssen momentan aus der Grundsicherung bezahlt werden.

Begründung:

Der Wetteraukreis ist zu 51% am Jobcenter beteiligt. Dem Wetteraukreis und den Kreistagsmitgliedern im Beirat obliegt daher eine Aufsichtspflicht.

Die Rechtsansprüche der Hilfesuchenden müssen gewährleistet sein.

DIE LINKE. interviewte zu Jahresbeginn 2012 22 Hilfesuchende zu ihren Erfahrungen mit dem Jobcenter Wetterau. In diesen Interviews traten die oben genannten Probleme zu Tage.

Eine wissenschaftliche Erhebung der Diakonie vom Juni 2012 erbrachte die gleichen Problemlagen, die wir in den Interviews festgestellt haben.

Titel: „Rechtssicherheit und Fairness bei Grundsicherung nötig. Diakonie-Umfrage ergibt:
SGB-II-Rechtsansprüche regelmäßig nicht umgesetzt“

link: http://www.diakonie.de/Texte-05-2012-SGB-II-Rechtsansprueche.pdf

Im Internet finden sich 77 Bewertung des Jobcenters Wetterau aus Sicht der Betroffenen.
Das Jobcenter erhält die Note 4,6. Deutlich wird in den Bewertungen auf die gleichen Probleme hingewiesen, wie sie oben genannt werden.

link: http://www.sozial-und-stark.de/arge_Friedberg/Wetteraukreis.html

 

Was ist daraus geworden?

Der Antrag wurde in den Ausschuss „Jugend, Soziales und Gesundheit“ überwiesen.

Dort wurde er am 1. 10. diskutiert. Doch die Informationen reichten den ausschussmitgliedern nicht aus. Deshalb wird es auf der nächsten Ausschusssitzung eine inhaltliche Debatte zum Jobcenter geben.