Daniel Kaufmann, der Vorsitzende der Linken Hartz4-Hilfe Wetterau, fordert das Jobcenter Wetterau auf, sofort alle Sanktionen gegen Hartz4-Leistungsberechtigte einzustellen. „Es ist ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig, das klären soll, ob Sanktionen überhaupt dem Grundgesetz entsprechen“, sagt Kaufmann. „Bis dies entschieden ist, müssen alle Kürzungen der Grundsicherung ausgesetzt werden.“
Am 26. Mai 2015 kam die 15. Kammer des Sozialgerichts Gotha zu der Auffassung, dass die im Sozialgesetzbuch (SGB) II festgeschriebenen Sanktionsmöglichkeiten der Jobcenter gegen mehrere Artikel des Grundgesetzes verstoßen. Die Gothaer Sozialrichter sehen die Menschenwürde verletzt, wenn Hilfebedürftigen die Hartz IV-Leistungen aufgrund von Terminversäumnissen oder Ablehnung von Jobangeboten gekürzt werden.
So bezweifeln die Richter, dass die Sanktionen mit der im Artikel 1 festgeschriebenen Unantastbarkeit der Menschenwürde und der im Artikel 20 festgeschriebenen Sozialstaatlichkeit der Bundesrepublik vereinbar sind. Denn aus diesen Artikeln ergebe sich ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, das bei einer Kürzung oder kompletten Streichung des Arbeitslosengeldes II gefährdet sei. Leistungen nach SGB II gelten als Existenzminimum.
Außerdem stünden die Sanktionen im Widerspruch zu den Artikeln 2 und 12 des Grundgesetzes, weil sie die Gesundheit oder gar das Leben des Betroffenen gefährden könnten. Die genannten Grundgesetz-Artikel garantierten jedoch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Zudem verstoßen Sanktionen gegen die Berufsfreiheit.
„Es wäre gut, wenn das Bundesverfassungsgericht für die Arbeitslosen entscheidet“, hofft Kaufmann. Er verweist darauf, dass 2014 in Hessen mehr als 52 000 Sanktionen ausgesprochen wurden. Sie führten dazu, dass Menschen monatelang weit unter dem Existenzminimum leben oder sich verschulden mussten.
„ In unsere Sozialsprechstunde kommen Leute, denen Strom, Wasser und Heizung abgestellt wurden. Auch der Verlust der eigenen Wohnung zählt zu den Folgen der Sanktionen. Gleichzeitig sind 2013 bundesweit weit mehr als ein Drittel der Widersprüche und Klagen gegen Sanktionen zugunsten der Betroffenen entschieden worden. Dabei widerspricht bzw. klagt nur eine Minderheit der Betroffenen.“