Jobcenter digital?

TOP 19
Jobcenter Digital
Kreistagssitzung am 12. 7. 2023

Herr Kreistagsvorsitzender,
meine Damen und Herren,

ein sehr großer Teil der von Armut betroffenen Bevölkerung hat keinen Internetanschluss.
Die Menschen können sich das nicht leisten.
Zweidrittel der unteren Einkommensschichten nutzen kein Smartphone oder andere digitale Anwendungen. Privat haben sie kein Geld dafür und beruflich gibt es keine Notwendigkeit.
Oft reichen die Kapazitäten auch nicht aus, denn digitale Geräte und Leistungen sind nicht billig.
Auf diese Realität verweisen der Paritätische Gesamtverband und die paritätische Forschungsstelle.
Die Internetadresse der entsprechenden Untersuchung vom April 2023 finden Sie in der Antragsbegründung.

Was bedeutet das für das Verwaltungshandeln und die Beantragung sozialer Hilfen?

Zuerst mal kann nicht selbstverständlich davon ausgegangen werden, dass Anträge auf Sozialleistungen digital gestellt werden können.
Auch die Kommunikation zwischen Jobcenter, und anderen sozialen Hilfestellen kann nicht selbstverständlich digital laufen.
Zum anderen ist mit einer rein digitalen Vorgehensweise die Hürde für eine berechtigte Antragstellung so hoch, dass die Hilfen nicht in Anspruch genommen werden oder in Anspruch genommen werden können.
Das würde gegen die gesetzliche Absicht des SGB verstoßen.
Im §17 SGB I geht es darum, dass zustehende Sozialleistungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen.
In den Absätzen 3 und 4 heißt es, dass (ich zitiere)„der Zugang zu den Sozialleistungen möglichst einfach gestaltet wird, insbesondere durch Verwendung allgemein verständlicher Antragsvordrucke und
ihre Verwaltungs- und Dienstgebäude frei von Zugangs- und Kommunikationsbarrieren sind und Sozialleistungen in barrierefreien Räumen und Anlagen ausgeführt werden.“ (Zitat Ende)

Sehr geehrte Damen und Herren,
immer öfter kommen Hilfesuchende in unsere Sprechstunde, die keine Antragsformulare in Papier erhalten haben, digital aber keinen Antrag stellen können.
Und das sind auch nicht immer nur Menschen, die ihren Niedriglohn aufstocken müssen oder Grundsicherung brauchen.
Bei der Gesamtbevölkerung geht man von 6 Prozent aus, die keinen Internetanschluss haben und das sind immerhin 3,4 Millionen Menschen. Und ein großer Teil der Bevölkerung hat zwar digitale Endgeräte und einen billigen Anschluss zum Netz
aber beides nicht ausreichend in der Leistung
für die digitale Teilhabe.
Der Paritätische spricht von einer „wachsenden digitalen Kluft“.
Viele der armen Menschen würden wahrscheinlich gern einen Internetanschluss haben und ihre Angelegenheiten online erledigen. Doch dazu müsste in der Grundsicherung Geld für die digitale Teilhabe enthalten sein.

Meine Damen und Herren,
die Änderungsanträge, die zu unserem Antrag eingebracht wurden, begrüßen wir.
Es braucht ein Bewußtsein darüber, wie die behördlichen Angelgenheiten möglichst niedrigschwellig erldigt werden können.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!