Stadtverordnetenversammlung am 15. Dezember 2023
Beschlussfassung über den Haushalt der Stadt Karben für 2024:
Herr Stadtverordnetenvorsteher Fischer, sehr geehrte Damen und Herren!
Bei Durchsicht des Haushalts schaue ich mir immer den Bereich „Soziales“ genauer an.
Ich bin froh, dass Karben Geld aufwendet für Büchereien, zur Förderung des Vereinslebens, für Seniorenarbeit, für Einrichtungen wie das Jugendkulturzentrum oder das MüZe, die Schulsozialarbeit oder auch den Sport. Das sind alles Aufwendungen, die ein Zusammenleben in Karben fördern. Das ist gut so. Und unverzichtbar.
Aber auf der anderen Seite gibt es im Sozialbereich leider in Karben einen blinden Fleck.
Was meine ich?
Gustav Heinemann, der dritte Bundespräsident der Bundesrepublik, hat mal gesagt: „Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den Schwächsten ihrer Glieder verfährt.“
Die Schwächsten – das sind in unserer Gesellschaft zuerst mal alle, die sich das teure Leben nicht leisten können. Zum Beispiel, für die es ein Kraftakt ist, die Miete zu bezahlen und die Heizung. Die dann kein Geld mehr erübrigen können für einen Verein oder einen geselligen Kneipenbesuch mit den Nachbarinnen. Oder die kein Geld mehr aufbringen können für die Teilhabe ihrer Kinder beim Verein, für ein Musikinstrument oder für angemessene Sportkleidung. Und die Rentnerin, die nach Miete und Heizung schon am Essen sparen muss und ohne wirklich soziale Preise weder das Hallenbad noch den Weihnachtsmarkt vor dem Rathaus besuchen wird.
Und das sind heute bei weitem nicht mehr nur die Menschen, die sowieso schon so wenig haben, dass sie Sozialhilfe oder Bürgergeld in Anspruch nehmen müssen. Viele Haushalte verdienen nicht genug, dass nach Abzug der horrenden Lebenshaltungskosten, Strom, Heizung und Miete noch viel für soziale Teilhabe übrig bleibt.
Sozialpolitik muss es eben auch für diese Menschen geben. Und da gibt’s in Karben diesen blinden Fleck im Haushalt und – das geht ja dem Haushalt voraus – schon in der Wahrnehmung dieser Probleme.
Weil vor allem die Miete arm macht, gehört soziale Stadtentwicklung und die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum ganz nach vorn. Das ist Sozialpolitik!
Es kann nicht vorrangig darum gehen, dass für Menschen, die sich das wünschen und die entsprechende Kohle haben, Baugebiete erschlossen werden. Es muss darum gehen, endlich bezahlbaren Wohnraum zu schaffen! Denn im unteren Preissegment herrscht eine ausgesprochene Wohnungsnot!
Und auch, dass es Treffpunkte und Gemeinschaftsräume gibt, die ohne Geld genutzt werden können und ohne dass man was verzehren muss – also die städtebauliche Planung von Sozialräumen – auch das ist kommunale Sozialpolitik. Und natürlich geht es auch um den Schutz und die Unterstützung besonders verletzlicher Menschen. Hier könnte es in Karben gut mehr Unterstützung geben.
Meine Damen und Herren,
in diesem Sinne habe ich zwei Anträge zum Haushalt eingebracht:
Der erste Antrag will eine eine feste jährliche Summe zur Unterstützung des Frauenhauses Wetterau erreichen. Es stellt für den Haushalt der Stadt keine große Belastung dar, jährlich einen Geldbetrag von 3000 Euro zum Schutz von Frauen bereitzustellen. Für Karben ist das eine leistbare Summe, für das Frauenhaus wäre es sehr wichtig. Das Wetterauer Frauenhaus schützt auch Frauen aus Karben vor Gewalt. Und wie alle Frauenhäuser in Deutschland wird diese wichtige Arbeit nicht ausreichend und nicht verlässlich finanziert. Dass aber eine solche Finanzierung notwendig ist, zeigen die Belegzahlen auch hier in der Wetterau: Wie alle Frauenhäuser ist unseres oft überbelegt und es müssen sogar Frauen abgewiesen werden, weil der Platz fehlt.
Meine Damen und Herren, In Deutschland wird jede dritte Frau in ihrem Leben Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt. Auf ein Jahr gerechnet wird fast täglich eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet. Das zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamts. Sollte es sich ein Gemeinwesen nicht zur Aufgabe machen, diese Frauen zu schützen?
Ich bitte daher nochmal um die Zustimmung zu diesem Antrag.
Der zweite Antrag geht um eine Stadtentwicklung auf der Grundlage einer längerfristigen Konzeption.
Unser „Stadtzentrum“ wurde bisher nicht als Gesamtkonzept entwickelt. Dieser Mangel in der Konzeption führte zu einer Innenstadtbebauung mit wenig Aufenthaltsqualität, was heute nur schwer revidierbar ist. Will man zukünftig das Flair einer Westernstadt vermeiden, braucht es ein städtebauliches Konzept.
Sie haben das ja auch erkannt. Das „Leitbild für Karbens Mitte“ sucht gerade nach Möglichkeiten, aus der Ansammlung von Bauten einen Raum zu machen, wo man sich gerne aufhält.
Ich bedauere hier sehr, dass ich es wegen meiner derzeitigen gesundheitlichen Konstitution nicht geschafft habe, mich hier mehr einzubringen. Aber dazu gibt es hoffentlich auch zukünftig noch Gelegenheit.
Denn wenn jetzt in Bezug auf Karbens Mitte erkannt ist, dass es viel schwerer ist, im Nachhinein umzusteuern und zu korrigieren, dann kann man auch den nächsten Schritt gehen und ein längerfristiges Gesamtkonzept erarbeiten. Dazu ist zunächst die Erfassung und Bewertung der Entwicklungspotentiale und Schutzpotentiale im Stadtgebiet nötig.
Der Wetteraukreis wächst. Das Rhein-Main-Gebiet hat eine dynamische Bevölkerungsentwicklung. Das wird auch in Karben zu noch mehr Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum führen. Es wird sich weiter Gewerbe ansiedeln. Es wird Fläche gebraucht werden.
Damit die durchaus widersprüchlichen Anforderungen der Wohnungspolitik und Stadtentwicklung mit der Umweltpolitik ausgewogen und zu klugen Lösungen geführt werden können, braucht es längerfristige Überlegungen und Konzeptionen.
Damit befassen sich – breit gefächert – wissenschaftliche Institute für Humangeographie und Raumplanung und entwickeln gute Ideen. Vielleicht sollten wir uns das mal anschauen.
Ein guter Kontakt in unserer Nähe wäre zum Beispiel das Institut für Humangeografie in Frankfurt. Die sind sicher ansprechbar. Es gibt gute Beispiele, wie Kommunen Wohnungsbau trotz steigender Baukosten angegangen sind, wie der Nahverkehr gestaltet wurde, wie Hitzeschutz und Wassermanagement realisiert werden und vieles mehr.
Man muss nicht immer allein auf Ideen kommen. Lassen Sie uns über den Tellerrand hinausschauen!