Haushaltsrede 7.12. 2011
Sehr geehrte Damen und Herren,
Man spart um einen Engpass im Haushalt zu überwinden.
Das kann mit diesem Haushalt aber nicht passieren.
Wenn das Steuersystem in Deutschland nicht geändert und die Finanzausstattung der Kommunen nicht verbessert wird, haben die Sparbemühungen keine Wirkung.
Ihre Parteien, meine Damen und Herren, haben die Steuern für Reiche und große Unternehmen gesenkt. Ihre Parteien haben die Finanzmärkte liberalisiert, Spekulationen, Hedgefonds und Leerverkäufe ermöglicht.
Als Folge straucheln Staaten, werden die Mehrheit der Bevölkerung und der Mittelstand belastet und die Einnahmen der Kommunen sinken.
Alle hier sitzenden Parteien haben der Schuldenbremse zugestimmt.
Sie haben keine Reform der kommunalen Finanzen eingefordert, haben nicht protestiert. Ihre Parteienvertreter in Berlin und Wiesbaden haben uns die Suppe eingebrockt.
Sie wollen gerne 17,5 Millionen einsparen…oder 16,4 Millionen….
Bei einem Schuldenstand von 255 Millionen Euro ist das auch relativ egal. Denn real stiegen die Fehlbeträge 2010 und 2011 stark an und zwar weit mehr als jeweils 17,5 Millionen.
Ich nehme nicht an, dass sie in dieser Zeit das Geld zum Fenster hinaus geworfen haben.
Das Ganze erinnert an die Geschichte von Sisyphus in der griechischen Mythologie.
Der hier zur Abstimmung vorliegende Doppelhaushalt für 2012/2013 ist
ein unsozialer Haushalt,
ein intransparenter Haushalt
und ein Haushalt der Hilflosigkeit.
Warum ist dieser Haushalt unsozial?
Exemplarisch möchten wir die Kürzungen bei den „Kosten der Unterkunft und Heizung“ herausgreifen.
Hier wird um rund dreieinhalb Millionen Euro gekürzt.
Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden nicht mehr in der tatsächlichen Höhe gewährt, sondern pauschal ausgezahlt. Dies ist nach dem hessischen Offensivgesetz möglich – aber nicht zwingend vorgeschrieben!
Werden die Kosten für Unterkunft und Heizung pauschaliert, trifft dies Menschen, die von Grundsicherung leben. Sie erhalten dann nicht mehr die tatsächlich anfallenden Kosten. In Folge dessen müssen sie die Differenz zwischen Pauschale und tatsächlichen Kosten aus der Grundsicherung selbst ausgleichen. Die Betroffenen leben dann weit unter dem Existenzminimum.
Sowohl das Bundessozialgericht als auch das Bundesverfassungsgericht urteilten, dass angemessenen Wohnkosten gewährt werden müssen. Es gibt ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums und außerdem auf einen Anspruch auf Leistungen „zur Kostendeckung von Unterkunft und Heizung“.
Nach bisher geltendem Recht dürfen Kommunen – darf der Kreis – nur pauschalieren, wenn ausreichend freier Wohnraum zur Verfügung steht. Den Betroffenen muss es möglich sein, mit der Untergrenze der Pauschale eine Wohnung mit ausreichendem Standard anzumieten.
DIE LINKE. hat die Gemeinden angeschrieben und erfahren, dass es nur wenig Kommunen mit Sozialwohnungen gibt. Die Quadratmeterpreise, die in der Presseerklärung des Herrn Veith aus dem „schlüssigen Konzept“ des Wetteraukreises zitiert waren, wurden von der Mehrheit der Gemeinden als nicht realistisch gesehen.
Die Kürzungen im Bereich „Kosten für Unterkunft und Heizung“ hält DIE LINKE. nicht nur für unsozial. Sie untergraben die geltende Rechtsprechung.
Weitere negative Folgen sind:
Einkommensschwache Menschen werden gezwungen, ihre Wohnungen in „guten“ Vierteln aufzugeben und in billigere Wohnquartiere auszuweichen. Im Wetteraukreis ist dies überwiegend der strukturschwache Ostkreis oder besondere Viertel in den Städten des Westkreises. Dieser Zwang zur Abwanderung ist nach dem „Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch“ (EGRGEB) §22 III Nr.4 unzulässig. Dort heißt es: es müssen ausgeglichene Bewohnerstrukturen geschaffen oder erhalten werden. DIE LINKE. gibt zu bedenken, dass Ghettobildung und strukturelle Verarmung bereits jetzt schon mancherorts spürbar sind und es eigentlich die Aufgabe der politischen Gremien wäre, diese Entwicklung aufzuhalten.
Meine Damen und Herren,
es gibt noch mehr Beispiele dafür, dass dieser Haushalt unsozial ist.
Viele der Einsparungen gehen auf Kosten der Mitarbeiter/innen.
Durch Umstrukturierungen und Wegfall von Stellen kommt es bei gleicher oder sogar steigender Arbeitsanforderung zu Arbeitsverdichtungen.
Bei den Bezeichnungen für diesen zunehmenden Arbeitsdruck bewiesen die Autoren der „Systematischen Aufgabenkritik“ neoliberale Phantasie: Sie nennen es „Optimierung“, „Aufgabenkonzentration“ oder „breiteres Aufgabenspektrum“.
Wir nennen es „Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zulasten der Nerven und der Gesundheit der Mitarbeiter/innen“.
Betroffen sind beispielsweise Hausmeister der Schulen und Schulsekretärinnen, die nun mehrere Arbeitsplätze haben und pendeln müssen.
Oder die Zuordnung der FD-Leitung „Verkehr“ in den Bereich der FD-Leitung „Aufenthaltsrecht, Öffentliche Sicherheit und Ordnung“. Hat der FD-Leiter „Verkehr“ so wenig gearbeitet, dass die zusätzliche Arbeit für den FD-Leiter 2.5 kein Problem darstellt?
Oder die Reduzierung der psychosozialen Beratungsstellen, der Wegfall einer Arzthelferinnenstelle im bisherigen Bereich Büdingen, die Aufgabenkonzentration im FD 4, in dem eine Stelle eingespart werden soll und eine Stelle aus gesundheitlichen Gründen wegfällt. Ist es wirklich so, dass die „Aufgabenkonzentration“ von den Mitarbeiter/innen geleistet werden kann?
Viele der Einsparungen gehen zu Lasten der Qualität der erbrachten Leistungen.
wenn Verwaltungsstellen wegfallen und im Westkreis konzentriert werden,
wenn es für die Bürger/innen schwerer und umständlicher wird, ein Amt zu erreichen und dazu weite Fahrten nötig sind,
wenn es schwerer wird die Telefonnummer eines Fachdienstes zu finden,
wenn verlangt wird, dass Gutachten auf ein Minimum reduziert werden,
wenn die Laufzeiten von Maßnahmen in der Jugendhilfe und Erziehungshilfe verkürzt werden,
wenn Fachliteratur nicht mehr zur Verfügung steht
und vieles mehr…
sind dies gravierende Qualitätsverschlechterungen.
In vielen Fällen betreffen diese Verschlechterungen besonders Bürger/innen des Ostkreises.
Auch das Online Verfahren für Einbürgerungen ist eine Qualitätsverschlechterung: Menschen, mit Sprachproblemen sollen sich ohne Beratung durch Anträge kämpfen. Das fällt schon Deutsch-Muttersprachlern schwer!
Einige Einsparungen mindern die Initiative der Bürgerinnen und Bürger und gefährden soziale Projekte und Präventionsarbeit.
Schutzeinrichtungen für Frauen sind betroffen.
Aber auch der Sport. Hier sind die Kürzungen nicht nachvollziehbar, weil die eingesparten Kosten dann im Gesundheitswesen wieder anfallen werden.
Die Kosten der Gesundheitsmaßnahmen in Folge von Bewegungsmangel steigen stetig an. Immer mehr Jugendliche leiden unter Bewegungsmangel und entsprechenden Lern- und Entwicklungsstörungen. Die Kooperation der Vereine mit den Schulen – besonders bei Ganztagsangeboten- führt Kinder systematisch an Sport und Bewegung heran. Bedenken Sie, dass hier vor einem Jahr bereits 1/3 der Förderung durch das Land Hessen gestrichen wurde.
Aber auch für die wachsende Gruppe der Seniorinnen und Senioren sind Bewegungsangebote für die Gesundheit dringend nötig. Prävention, Behindertensport, spezielle Angebote zur Linderung von Gebrechen, wie z.B. Rückenschule und vieles mehr, verbessern nicht nur die Lebensqualität der Menschen, sondern senken auch die Kosten im Gesundheitswesen.
Unsozial sind auch die Kürzungen der Zuschüsse für Kultur und Musikschulen. Denn Wohlhabende Familien können auch höhere Beiträge für ihre Kinder zahlen.
Normalverdienende oder arme Menschen können das nicht.
Ein Bereich wie „Hilfen zur Pflege“ wird spürbar gekürzt, obwohl klar ist, dass der Bedarf in der Pflege steigen wird. Wenn man hier keine Zukunftsplanung vornimmt, heißt das, die bisher öffentlichen Leistungen werden später von Privatfirmen erbracht.
Sie haben diesen Kürzungen des sozialen Gefüges und der Kultur nur drei Stellen für Schulsozialarbeit entgegenzusetzen, die neu geschaffen werden sollen.
Ihr Sozialindex verweist auf eine Strukturschwäche des gesamten Ostkreises plus Stadteilen in Friedberg und Butzbach.
Schulsozialarbeit ist gut. Doch die Probleme, die aus den Kürzungen erwachsen werden lassen sich mit drei Stellen in keiner Weise ausgleichen.
Warum ist dieser Haushalt intransparent?
Uns ist schon klar, warum die systematische Aufgabenkritik eine Passage der Geheimhaltung beinhaltet.
Das ergibt eine gewisse Logik: wenn ich nicht wollte, dass die Fülle der unsozialen Entscheidungen breit bekannt und öffentlich diskutiert wird.
Die Verantwortung ist dann irgendwohin outgesourced und liegt nicht bei den politisch Verantwortlichen.
Schon im Prüfbericht des Landesrechnungshofs Zur Haushaltstruktur des Wetteraukreises erhielt dieses Parlament eine Ohrfeige:
Dort wurde moniert: die Organe und Unterorgane des Wetteraukreises wurden über die Haushaltslage nicht umfassend informiert. „Umgekehrt machten die Organe keinen Gebrauch von ihren Überwachungspflichten.“
Ein gutes Beispiel, für mangelnde Information des KA und Desinteresse seitens der Abgeordneten ist der Umgang mit dem Sozialindex von 2010.
Auf welcher Grundlage entscheidet dieses Parlament heute eigentlich über die Ausgaben und Kürzungen im Sozialbereich? Zum Beispiel KdU? Schulsozialarbeit?
Der Sozialindex ist bei vielen Punkten grundlegend für Entscheidungen.
Doch er ist ein Geheimpapier.
Nur weil es jemandem nicht passt, der zufällig in einer Partei der Regierungsbank Mitglied ist, wird er nicht öffentlich gemacht und noch nicht einmal den Kreistagsabgeordneten zur Verfügung gestellt.
Veröffentlichen wir jetzt auch die Arbeitslosenzahlen nicht mehr?
… schlechtes Beispiel, weil die ja auch frisiert werden…
Also sagen wir:
die Kriminalstatistik, die Unfallzahlen, die Seuchenfälle, die AIDS- oder Drogentoten , die fehlenden Lehrerstellen …
Ein Sozialindex würde die Folgen der Kürzungen im Sozialbereich verdeutlichen. Es werden heute immerhin Entscheidungen getroffen, die arme Menschen in der Wetterau – 9% oder 27 000 Personen – drastisch treffen werden.
Sie, meine Damen und Herren sollten wissen, dass Sie diese Menschen z.B. mit der Pauschalierung der Kosten der Unterkunft weiter in die Armut und unter das Existenzminimum treiben.
Auch hier wird die Veröffentlichung des zu Grunde liegenden „schlüssigen Konzepts“ verweigert.
Erzählen sie uns nicht, man könne den Sozialindex und das Konzept nicht veröffentlichen, weil Privatfirmen davon Nutzen ziehen könnten. Das ist Unsinn.
Der Landkreis Darmstadt Dieburg hat seinen Armuts- und Reichtumsbericht im Internet veröffentlicht. Frankfurt zeigt im Internet seinen Mietspiegel als Grundlage der Berechnungen.
Meine Damen und Herren,
dies ist eine demokratische Grundsatzfrage: dass man Entscheidungen gut informiert und in voller Verantwortung trifft.
Eigentlich wäre ja der Haushalt auch eine Entscheidungsgrundlage für die Mandatsträger/innen.
Dazu müssten aber einige Bestandteile des doppischen Haushalts auch drin stehen: Nicht nur die Zahlen, sondern auch Qualitätsindikatoren und Zukunftsprognosen.
Es wird heute über einen Haushalt abgestimmt, der Veränderungen in den Teilhaushalten nicht ausweist und Qualitätsmerkmale nicht messbar benennt.
Die Entscheidungsgrundlagen dieses Haushalts sind für nicht Wirtschaftswissenschaftler nicht transparent. … und schon gar nicht für Bürgerinnen und Bürger.
Warum ist dieser Haushalt hilflos?
Meine Lieblingsstelle bei der systematischen Aufgabenkritik ist, dass jährlich die gewaltige Summe von 200 Euro eingespart werden soll. Als Zuschuss für die Teilnahme der Betriebsfußballmannschaft am Fußballturnier der Landkreise.
200 Euro – whouw… Ich erinnere daran: Der Wetteraukreis hat 255 Millionen Schulden!
Für die Consulting-Agentur wurden 100 000 Euro ausgegeben. Bis 2015 werden es 300 000 Euro sein.
Wie viele der Einsparungen hätte man für 100 000Euro einsparen können?
Wir haben das ausgerechnet:
Kürzungen Frauenzentrum 3040 Euro
Reduzierung der jährlichen Anpassungen
der Zuschüsse an Frauenprojekte 2900
Reduzierung KA-Mitglieder 18000
Reduzierung der Sitzungen KA 5618
Änderung der Entschädigungsatzung KT 7820
Reduzierung KT-Mitglieder 4000
Reduzierungen Sitzungen KT 32000
Mitgliedschaften, z.B. Osthofen 1200
Zuschüsse Kulturvereine 3000
Zuschüsse Musikschulen 25000
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Wir sagen nicht, dass die Arbeit der Consulting-Agentur schlecht war. Sie war professionell.
Wir sagen:
Natürlich muss das zentrale Controlling und Controlling überhaupt gestärkt werden. Kosten- und Nutzenrelationen müssen genau geprüft werden. Die Leistungen müssen effektiv sein. Und sicher lässt sich durch bessere Organisation Geld sparen.
Aber:
Warum kommt die Kreisverwaltung darauf nicht selbst?
Man weiß doch, dass eine starkes Controlling die Effektivität der Arbeit erhöht: Man weiß doch, dass bei Leistungen die Kosten- Nutzen Relation das entscheidende Kriterium ist.
Unsere Vorgänger-Fraktion hat angefragt, ob zur Umstellung auf Doppik genug Personal vorhanden sei und ob es geschult werden müsse. Es hieß damals, es sei alles im grünen Bereich.
Im Prüfbericht des Landesrechnungshofs steht jedoch: Mitarbeiter/innen – die armen! -sind nicht ausreichend geschult.
Warum stellt man nicht mehr Mitarbeiter/innen für das zentrale Controlling ein und bildet die bisherigen Mitarbeiter/innen weiter?
Warum braucht man dafür eine Consulting Agentur für 300 000 Euro?
Na ja, die große Politik macht’s ja vor: Nicht die Politiker bestimmen den Kurs, sondern die Ratingagenturen…
In Berlin und Wiesbaden schreiben Rechtsanwaltskanzleien Gesetze.
Die Frage ist: warum lassen Sie sich das gefallen, sehr geehrte Damen und Herren?
Wieso wird der politische Spielraum freiwillig preis gegeben?
Ein Parlament, das seine Aufgaben einer Privatfirma übergibt und nicht politisch entscheidet, ist überflüssig!
Sie werden sich nicht wundern, dass DIE LINKE. diesen Haushalt mit Überzeugung ablehnt.