Zweite Anfrage zu Störfallbetrieben in der Wetterau

Sehr geehrter Herr Häuser,
Neu- und Änderungsbaugenehmigungen sowie ggf. auch Nutzungsänderungsgenehmigungen liegen im Zuständigkeitsbereich des Bauamtes bzw. des Fachdienstes Bauordnung des Wetteraukreises. Dabei sind kommunale Bauaufsichtsbehörden angehalten, sich im Hinblick auf die Problematik des Abstandsgebotes von und zu Störfallbetrieben bei der Immissionsschutzbehörde Informationen einzuholen (vgl. Staatsanzeiger für das Land Hessen vom 6. 10. 2014, S. 852).
Wir gehen einmal davon aus, dass dies auch im Wetteraukreis vor den Genehmigungen für die oben genannten Objekte geschehen ist.

Wir bitten Sie um die Beantwortung der folgenden Fragen, die das Bauamt des Wetteraukreises sicherlich beantworten kann:

Antwort
Vorbemerkung des Landrats zu unseren Fragen:

Die Seveso-Richtlinie II als EU-Richtlinie gibt es seit dem 9. 12. 2002. Sie wurde am 1. 6. 2015 ersetzt durch die Seveso III Richtlinie, die weitgehend der Seveso II Richtlinie entspricht. Grundsätzlich müssen europäische Richtlinien in nationales Recht umgesetzt werden. Für die Seveso-Richtlinie sollte dies bis zum 1. 6. 2015 geschehen. Da die Umsetzung in nationales Recht nicht bis zu dem Zeitpunkt stattgefunden hatte, sind im November 2015 als Reaktion auf ein EUGH-Urteil „Hinweise zur direkten Anwendung der Richtlinie für bauaufsichtliche Verfahren“ veröffentlicht worden (Staatsanzeiger vom 9. 11. 2015). Der in der Anfrage erwähnte Erlass des Hessischen Umweltministeriums bezieht sich auf die Immissionsschutzbehörden – nicht auf die Bauaufsichtsbehörden.
Erst seit Inkrafttreten der Novelle der Hessischen Bauordnung (HBO) vom 28. 5. 2018, veröffentlicht am 6. 6. 2018 und in Kraft ab dem 6. 7. 2018, gibt es sowohl eine Definition, für welche Vorhaben die Regelungen der Seveso III Richtlinie beachtlich sind, wie auch eine Vorgabe, wie Genehmigungsverfahren für Vorhaben, die innerhalb des Achtungsabstandes bzw. angemessenen Sicherheitsabstandes liegen, zu strukturieren und abzuwickeln sind. 
Eine gesetzliche Regelung für die Ermittlung der Achtungsabstände / angemessenen Sicherheitsabstände (TA Abstand) ist noch in Arbeit. Mit einem Inkrafttreten dieser Regelung wird frühestens 2019 gerechnet, Bisher werden solche Abstände i. d. R. pauschal in Anlehnung an die KAS-18 (Kommission für Anlagensicherheit beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit) festgelegt.
Nach der lange Zeit vorherrschenden Meinung war der Anwendungsbereich der Seveso-II-Richtlinie analog § 50 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) nur auf die Planung von Gebieten (Bauleitplanung) beschränkt, wobei § 50 BImSchG auch erst im Jahr 2005 um den Aspekt der Vermeidung von schweren Unfallfolgen duch die Einhaltung von bestimmten Abständen ergänzt worden ist. Ähnliches gilt für die Werte in der KAS 18, die für die Standortplanung von Störfallbetrieben entwicklet worden sind. In der KAS 18 sind pauschale Achtungsabstände für die Planung von Betrieben entsprechend der im Betieb eingestzten Stoffe, die der Störfallverordnung (StörfallVO) unterliegen, angegeben. Diese pauschalen Achtungsabtände berücksichtigen aber nicht die konkrete Situation. Für die konkrete Situation ist immer noch ein angemessener Sicherheitsabstand zu berechnen. Der angemessene Sicherheitsabstand kann ggf. aufgrund verschiedenstar Faktoren (Art des Betriebes, örtliche Bedingungen, sozioökonomische Faktoren etc.) verändert werden. Es gibt keine Regelung, die besagt, dass innerhalb eines berechneten angemessenen Sicherheitsabstandes keine Vorhaben mehr verwirklicht werden dürfen (kein Verschlechterungsverbot).
Ebenso strittig ist lange Zeit gewesen, ob die Seveso-Richtlinie für Wohnbauvorhaben im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren überhaupt anwendbar ist, da es sich bei diesen Genehmigungsverfahren nach HBO immer um die Genehmigung von Einzelbauvorhaben handelt und nicht um „Wohngebiete“ (Formulierung der Seveso-Richtlinie).

Im konkreten Fall wurde dem Wetteraukreis vom Regierungspräsidium Darmstadt der errechnete angemessene Sicherheitsabstand von 550m um den Betrieb „Kraupatz“ erst im Oktober 2016 im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens für ein anderes Bauvorhaben mitgeteilt. Auf welcher Grundlage dieser Abstand errechnet wurde, ist der Bauaufsichtsbehörde bisher nicht beaknnt. In einem anderen Gutachten der Stadt Münzenberg wird ein angemessener Sciherheitsabstand von 300m festgelegt, ein weiteres Gutachten hat einen Abstand von 175m ermittelt.

Betrieb Kraupatz

Dem Betrieb „Kraupatz“ wurde im Jahr 2004 eine Genehmigung nach dem BImSchG für die Lagerung von Chlor und anderen Stoffen erteilt. Aufgrund der dort gelagerten Stoffe stellt der Betrieb nach StörfallVO (12.BImSchG) einen Störfallbetrieb dar. Ein Störfallbetrieb unterliegt bestimmten Sicherheitsanforderungen nach Vorgaben der StörfallVO. Er unterliegt der regelmäßigen Kontrolle (alle 5 Jahre) durch das Regierungspräsidium Darmstaft. Bei der Genehmigung nach BImSchG wurde der rechtskräftige Bebauungsplan „Brückfeld IV“ (Rechtskraft 6.6.2003) nicht berücksichtigt.
In dem Betrieb „Kraupatz“ wird Chlor in relativ geringen Mengen nur zwischengelagert. Eine Be- oder Verarbeitung findet nicht statt.
Aufgrund einer Überprüfung des RP im Jahr 2007/2008 wurden verschiedene Verbesserungen am Betrieb und in der Organisation des Betriebs vorgenommen z.B. bauliche Verbesserung des Anprallschutzes, Verbesserung bei der Lagerung gefährlicher Stoffe, Optimierung der Überwachung, Schulung des Personals, Verbesserung der Information, Optimierung der Anweisungen für Verhalten im Gefahrenfall, Festlegung von In formationsketten etc.
Für den Betrieb gibt es einen Alarm- und Gefahrenabwehrplan, der mit der örtlichen Feuerwehr und dem Katastrophenschutz des Wetteraukreises abgestimmt ist. Weiterhin wurde das Personal im Umgang mit den gefährlichen Stoffen und den zu treffenden Maßnahmen im Fall eines Unfalls geschult. Ebenso wurde 2007 in der Nachbarschaft des Betriebs „Kraupatz“ ein Flyer zur Information mit der Angabe einer Notrufnummr und Hinweisen für das Verhalten im Unglücksfall verteilt. Der Flyer wird derzeit überarbeitet.

1. Nach den Forderungen des Artikels 12 der Seweso-II-Richtlinie sowie nach Artikel 13 der Seweso-III-Richtlinie müssen alle Mitgliedstaaten seit 1997 dafür sorgen, dass zwischen Störfallbetrieben auf der einen und Wohngebieten, öffentlich genutzten Gebäuden und Gebieten, Erholungsgebieten und Hauptverkehrswegen auf der anderen Seite ein angemessener Sicherheitsabstand gewahrt bleibt.
Vor diesem Rechtshintergrund stellen wir fest, dass sich innerhalb des „angemessenen Abstands“ vom Gase-Logistik-Zentrum Kraupatz in Münzenberg-Gambach, der laut Antwort des Umweltministeriums auf eine Kleine Anfrage der LINKEN (Hessischer Landtag Drucksache 19/6327) 550 Meter beträgt, u.a. das Cura Sana Pflegeheim (Blumenstraße 15, 35516 Münzenberg) befindet, das erst Anfang 2017 seinen Betrieb startete und als neue Einrichtung ohne jeden Zweifel Artikel 13 der Seweso-III-Richtlinie hätte unterworfen sein müssen.
Auf welcher Grundlage erfolgte die Genehmigung?
Welcher Abstand besteht zwischen der Fa. Kraupatz und dem Pflegeheim?
Welche Sicherheitsauflagen wurden der Genehmigung zugrunde gelegt?
Welche Maßnahmen für den Notfall sind vorgesehen?

Antwort:
Grundsätzlich war schon bei Aufstellung des Bebauungsplans in 2003 laut Begründung an dem heutigen Standort des Altenheims eine Seniorenwohnanlage vorgesehen. Im Rahmen der Änderung des Benauungsplans Brückfeld IV (4. Änderung) wurde für diesen Bereich im Rahmen der Abwägung der Konflikkt zwischen dem Betrieb „Kraupatz“ und der beabsichtigten Nutzung behandelt.
Wenn die Problematik eines Seveso-Betriebs im Bauleitverfahren behandelt wurde, bedarf es im anschließenden Baugenehmigungsverfahren keiner besoneren Abhandlung mehr ( 64 HBO 2018).

Auf welcher Grundlage erfolgte die Genehmigung?
Das Bauvorhaben für das Altenheim wurde im Verfahren gemäß § 58 HBO am 5. 1. 2015 genehmigt.

Welcher Abstand besteht zwischen der Fa. Kraupatz und dem Pflegeheim?
Der Abstand beträgt 150m.

Welche Sicherheitsauflagen wurden der Genehmigung zugrunde gelegt?
Alarmierung der Nachbarschft sowie der Feuerwehr/des Katastrophenschutzes.

Welche Maßnahmen für den Notfall sind vorgesehen?
Siehe oben. Diese beinhalten im Regelfall: kein Aufenthalt im Freien, Fenster schließen sowie Klimaanlage abstellen.

2. Darüber hinaus liegen neben der Grundschule Gambach auch die Kindergärten „Kinderbrücke“ und „Taubenhaus“ sowie ein Mehrgenerationenspielplatz innerhalb des „angemessenen Abstands.“ Während die Grundschule Gambach und der Kindergarten „Taubenhaus“ weit vor 1997 ihren Betrieb aufnahmen, fanden aber sowohl am Kindergarten „Taubenhaus“ als auch am Kindergarten „Kinderbrücke“ im Jahr 2016 Umgestaltungen des Außenbereichs statt, die wohl ebenfalls einer Änderungsgenehmigung auf der Grundlage der aktuellen Rechtslage bedurften. Der Mehrgenerationenspielplatz wurde dagegen erst nach 1997 errichtet und fällt damit ebenfalls voll in den Geltungsbereich der Seweso-II-Richtlinie.
Auf welcher Grundlage erfolgten die Genehmigungen für die Umgestaltung der Außenbereiche der Kindergärten und auf welcher Grundlage erfolgte die Genehmigung des Spielplatzes?
Welche Sicherheitsauflagen wurden den Genehmigungen zugrunde gelegt?
Welcher Abstand besteht zwischen der Fa. Kraupatz und den beiden Kindergärten bzw. dem Spielplatz?
Welche Maßnahmen für den Notfall sind vorgesehen?

Antwort
Für den Kindergarten „Taubenhaus“, der schon seit 1955 existiert, wurde in 2016 eine Erweiterung um einen Gruppenraum nach HBO genehmigt. Eine derartige Erweiterung war aufgund des Bedarfs an Kindergartenplätzen angezeigt. Sinnvoll und wirtschaftlich ist es, vor dem Neubau von sozialer Infrasstruktur vorhandene Einrichtungen dort, wo es sich umsetzen lässt, zu erweitern. Ein Bedarf sollte immer dort gedeckt werden, wo er entsteht. Der Kindergarten liegt am äußeren Rand des vom RP genannten Achtungsabstandes, aber außerhalb der von einem anderen Gutachter errechneten Abstands von 300m.

Auch der Kindergarten „Kinderbrücke“ exisitert bereits seit 1993. Die Veränderungen im Außenbereich waren nicht baugenehmigungspflichtig nach HBO. Die Gesamtsituation wird durch die Veränderungen im Außenbereich nicht verändert.
Der Mehrgenerationenspielplatz unterlag der Genehmigungsfreistellung nach § 56 HBO (2011). Es bedurfte daher keiner Baugenehmigung durch die Untere Bauaufsichtsbehörde. Auch nach der HBO 2018 sind derartige Bauvorhaben nicht von § 64 Abs. 2 und § 72 HBO (Rücknahme für bestimmte Vorhaben im Achtungsabstand/Sicherheitsabstand eines Störfallbetriebs) erfasst. Somit wäre auch heute kein besonderes Verfahren durchzuführen.

Auf welcher Grundlage erfolgten die Genehmigungen für die Umgestaltung der Außenbereiche der Kindergärten und auf welcher Grundlage erfolgte die Genehmigung des Spielplatzes?
Kindergarten und „Taubenhaus“: Die Genehmigung für die Erweiterung im einen U3-Gruppenraum erfolgte gemäß § 57 HBO. Die Gestaltung des Außenbereichs ist nicht baugenehmigungspflichtig.

Welche Sicherheitsauflagen wurden den Genehmigungen zugrunde gelegt?
Maßnahmen nach dem Alarm- und Gefahrenabwehrplan des Betriebs „Kraupatz“ mit Alarmierung der Nachbarschaft sowie Maßnahmen der Feuerwehr/des Katastrophenschutzes. Bei den genehmigungsfreien Bauten/Außenanlagen gibt es keine Sicherheitausflagen.

Welcher Abstand besteht zwischen der Fa. Kraupatz und den beiden Kindergärten bzw. dem Spielplatz?
Kindergarten „Taubenhaus“: ca. 500m
Kindergarten „Kinderbrücke“: ca. 450m
Mehrgenerationenspielplatz: ca. 300m

Welche Maßnahmen für den Notfall sind vorgesehen?
Siehe oben. Diese beinhalten im Regelfall: kein Aufenthalt im Freien, Fenster schließen sowie Klimaanlage abstellen. Je nach Anlass erfolgen Maßnahmen durch die Feuerwehr und den Katastrophenschutz.

3. Innerhalb des „angemessenen Abstands“ befinden sich nicht nur verschiedene Betriebe mit Publikumsverkehr, sondern auch Wohnbebauung. Zumindest letztere müsste ja eigentlich auch als „schutzbedürftig“ gelten, wurde aber womöglich vor 1997 errichtet, als die Seweso II-Richtlinie noch nicht galt.
Wann wurde die Bebauung des Gebietes genehmigt?
Wann und wie wurden die Bewohner des Wohngebiets über das Gefahrenpotential der Fa. Kraupatz informiert?
Welche Maßnahmen für den Notfall sind vorgesehen?

Antwort:
Der Bebauungsplan „Brückfeld IV“ ist im Jahr 2003 in Kraft getreten – vor der Genehmigung der Chlorgaslagerung beim Betrieb „Kraupatz“ (2004) nach BImSchG. Die meisten Wohnbauvorhaben in dem Baugebiet „Brückfeld IV“ (in Kraft seit 2003) sind auf Grundlage des rechtskräftigen Bebauungsplans im freigestellten Verfahren gemäß § 56 HBO 2011 verwirklicht worden. Auch nach der neuen HBO 2018 würden die Seveso-Richtlinien, umgesetzt in §§ 64 (2) / 72 HBO 2018, erst in Genehmigungsverfahren ab einer einer Wohnbaufläche größer als 5000 qm je einzelnem Genehmigungsverfahren greifen. Da im Regelfall die einzelnen Wohnbauvorhaben erheblich geringere Flächen aufweisen, wäre auch nach heutigem Recht kein besonderes Genehmigungsverfahren für Wohnbauvorhaben in diesem Bereich gemäß §§ 64/71 HBO notwendig.

Ein Hinweis auf die Nähe zum Betrieb „Kraupatz“ ist ab ca. 2009 in den Kaufverträgen zwischen der Hessischen Landgesellschaft und den Käufern enthalten.
Das Wohngebiet ist durch die Bundesstraße und einen festgesetzten Lärmschutzwall zum großen Teil vom Betrtieb „Kraupatz“ getrennt.

Wann wurde die Bebauung des Gebietes genehmigt?
Die Bebauung wurde im Schwerpunkt zwischen 2003 bis 2011 errichtet. In dem östlichen Teilbereich des Bebauungsplangebietes finden auch heute noch Baumaßnahmen statt.

Wann und wie wurden die Bewohner des Wohngebiets über das Gefahrenpotential der Fa. Kraupatz informiert?
In den Kaufverträgen für das Gebiet „Brückfeld IV“ ist ab ca. 2009 ein Hinweis auf die Nähe zum Störfallbetrieb „Kraupatz“ aufgenommen worden. Weiterhin wurden in 2007 Informationsblätter von der Firma Krauppatz verteilt.

Welche Maßnahmen für den Notfall sind vorgesehen?
Maßnahmen nach dem Alarm- und Gefahrenabwehrplan des Betriebs „Kraupatz“ sowie Maßnahmen der Feuerwehr/des Katastrophenschutzes. Diese beinhalten im Regelfall: kein Aufenthalt im Freien, Fenster schließen sowie Klimaanlage abstellen.