Rede zum Doppelhaushalt 2017 / 2018

Sehr geehrter Herr Kreistagsvorsitzender,

Mein Damen und Herren,

bei der Einbringung des Haushalts betonte der Herr Landrat, dass der Sozialetat in Rekordhöhe bereitgestellt wird.

 Er tat das mit einem Seitenhieb auf uns, die wir ja nie genug bekommen und immer unzufrieden herumnörgeln.

Ja, der Sozialhaushalt des Wetteraukreises ist der größte Batzen im Haushalt.
Aber das allein sagt jetzt noch wenig darüber aus, ob er seine Aufgaben ausreichend erfüllt und ob er auch den Anforderungen Rechnung trägt,
die sich sozial in der Wetterrau stellen.

 Denn erstens sind die Sozialleistungen im Haushalt des Wetteraukreises keine freiwillige Angelegenheit.

 Der Haushalt ist – zum Glück – dazu da, die gesetzlich abgesicherten Leistungen der Daseinsfürsorge zu erbringen.

 Das ist sozusagen seine Hauptaufgabe.

Daraus folgt Zweitens, dass darauf reagiert werden muss, wenn sich die Gesellschaft verändert.

 Man kann beispielsweise nicht ignorieren, dass die Zahl der Bedarfsgemeinschaften beim Jobcenter ansteigt – wie Sie das in den letzten Jahren immer ignoriert hatten.

Man kann nicht ignorieren, dass immer mehr Menschen Grundsicherung im Alter benötigen, indem man über Jahre von der gleichen Zahl der Sozialhilfeempänger ausgeht.

Uns ist schon klar, dass Sie wegen des Schutzschirms den Bedarf kleingerechnet haben. Aber wir finden sowohl diesen so genannten Schutzschirm als auch die Kleinrechnung grundsätzlich falsch!

 Zuerst schauen wir aber mal ganz kurz über den regionalen Tellerrand:

Leider stieg mit den Hartz-Gesetzen auch die Zahl der Menschen an, die von ihrem Lohn nicht mehr leben können und in der Folge steigt nun auch die Zahl der Menschen, die nach einem Arbeitsleben Grundsicherung brauchen, weil die Rente nicht reicht. Daran ändert auch ein völlig unzureichender Mindestlohn nichts! Und immer mehr Alleinerziehende sind auf Hartz4 angewiesen. Die Kinderarmut in Deutschland ist auf Rekordhoch und das ist ein Skandal!

Meine Damen und Herren:

Ihnen ist das alles bekannt. Aber wir sagen: Auf all das muss ein Sozialetat reagieren.

Sie haben keinen Sozialabbau betrieben?

Das ist ja zum Wiehern!

Wenn Sie nicht rechnen könnten, würde ich Ihnen das jetzt geduldig erklären – ich bin schließlich Sonderpädagogin.
Aber Sie können rechnen! Und deshalb sage ich: Ihre Ausführungen, der Sozialhaushalt sei der Beste und ihr Selbstlob täuschen, Herr Landrat! Sie vernebeln die Wirklichkeit. Ihnen gehen die ewigen Nervensägen auf den Keks. 
Das ist alles.

Ich könnte und würde Ihnen jetzt gerne Ihre Kürzungen der letzten Jahre detailliert aufzählen. Es käme eine Menge zusammen. Dazu habe ich leider nicht die Zeit. Deshalb spreche ich jetzt über ein paar ausgewählte Beispiele:

Beginnen wir mit der Wohnungspolitik.

Sie haben mit der Umsetzung der Sparmaßnahmen aus der systematischen Aufgabenkritik 2013 die Ausgaben für Unterkunft und Heizung um dreieinhalb Millionen Euro gekürzt. 
Das hatte weitreichende Folgen für Menschen, die soziale Hilfen brauchen.

Damit Sie sich das vorstellen können, meine Damen und Herren, hier ein Beispiel:

Leistungsberechtigte von sozialen Hilfen müssen sich einen Umzug vorher genehmigen lassen. Doch beim Jobcenter (übrigens auch beim Sozialamt) werden Umzugsanträge restriktiv bearbeitet – offensichtlich, um Forderungen zu unterlaufen. 

Die Genehmigungen kommen oft so spät, dass die Wohnung nicht termingerecht zugesagt werden kann und die Gefahr besteht, dass sie jemand Anderem gegeben wird.

Oft verlieren die Betroffenen die Nerven und ziehen ohne schriftliche Genehmigung trotzdem um. Telefonische Absprachen gelten ja nicht. Dann weigert sich das Amt, die Umzugskosten und die Kaution zu zahlen, die den Betroffenen eigentlich zustehen – wegen der fehlenden Genehmigung. 

So kann man nennswert Kosten sparen!

Ein weiteres Beispiel:

Viele Bedarfsgemeinschaften haben eine Umzugsaufforderung bekommen, weil ihre Miete über der Mietobergrenze liegt. Oft nur geringfügig darüber.

 Wenn diese Leute zu den geltenden Mietobergrenzen keine Wohnung finden, zahlen sie dann die Differenz der Mietobergrenze zur realen Miete aus ihrer Grundsicherung.

Bedenken Sie meine Damen und Herren: die Grundsicherung stellt das Existenzminimum dar!

Dass es sich hier um keinen Einzelfall handelt, belegt die Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Dort ist schwarz auf weiß zu lesen, dass im Wetteraukreis durchschnittlich 26,65 Euro pro Monat und Person an Kosten der Unterkunft nicht vom Jobcenter übernommen werden.

 Hier sehen Sie deutlich, wie restriktiv Sie die Kürzungen – die Sie immer abstreiten – auf die Menschen abwälzen: 26,65 Euro – das sind 319,80 Euro im Jahr pro Person, die Sie den betroffenen Menschen einfach verweigern!

Überhaupt: die Mietobergrenzen.

Sie haben nicht vermeiden können, die Mietobergrenzen bei kleinen Wohnungen und Singlehaushalten ab 2016 anzuheben. Sonst hätte kaum noch jemand der Betroffenen den Hauch einer Chance auf dem Wohnungsmarkt für kleine Wohnungen gehabt.

Dafür haben Sie aber eine ziemlich unsoziale Entscheidung getroffen:

Für Familien mit Kindern wurden die Obergrenzen gekürzt und liegen heute sogar unter den Mietobergrenzen von 2005.

Ich sage Ihnen auch wo das so ist:  In Altenstadt für Familien mit drei Kindern, in Büdingen, Nidda – im gesamten Ostkreis – für Familien ab einem Kind.

 Sie wollen dem Parlament doch nicht im Ernst erzählen, dass die Mieten dort seit 2005 gesunken sind?

 Diese Regelung macht die Familien zusätzlich arm.

Noch ein zweiter Punkt zum Thema „Wohnen“:
Auch hier sie stecken den Kopf in den Sand!

 Die Lage auf dem Wohnungsmarkt und die sozialen Verwerfungen nehmen Sie nicht wahr.

Oder wie wollen Sie erklären, dass es keine Bedarfsermittlung gibt, wie viele Wohnungen in welchem Preissegment gebraucht werden?
Auf unsere Anregung hin wurde 2013 eine unsystematische Erhebung gemacht, wie viele Sozialwohnungen es gibt und welche Pläne die Kommunen beim Wohnungsbau haben. Das Ergebnis war nicht sehr ermunternd. Eine Fortschreibung dieser Erhebung steht heute auf der Tagesordnung. Ich vermute, Sie werden sie ablehnen.

Aber das kann ich Ihnen ganz sicher sagen, meine Damen und Herren: nur weil man das Problem nicht sehen will, ist es noch lange nicht weg!

Jetzt braucht es eine Wende in der Wohnungspolitk. Wir brauchen bezahlbare Wohnungen und zwar in nennenswerter Anzahl!

Deshalb haben wir einen Änderungsantrag zum Haushalt gestellt, in dem wir Möglichkeiten zur Gründung einer kreiseigenen Wohnungsbaugesellschaft aufzeigen.

Ich hoffe sehr, sie stimmen zu und verweigern sich nicht wieder.

 Ich fasse zusammen:
Es gibt keinen qualifizierten Mietspiegel,
es gibt keine Bedarfsanalyse,
es gibt kein Bewusstsein über die Dramatik am Wohnungsmarkt für das untere Fünftel der Bevölkerung.
Stattdessen stecken Sie den Kopf in den Sand und betreiben repressive Sozialpolitik, für die sie sich dann auch noch in den Bereichen loben, die Ihnen zum Glück gesetzlich auferlegt wurden!

 

Meine Damen und Herren,

einen weiteren Punkt der Wetterauer Sozialpolitik möchte ich etwas ausführen: der ist nicht nur ziemlich unsozial. Der ist ein Skandal!

Wir kommen zu der neusten Einsparung hinter den Kulissen:
Sie haben die Flüchtlingsarbeit an die Firma European Homecare vergeben.

Das Rote Kreuz habe sich nicht mehr beworben, sagen sie. Das Rote Kreuz sagt, es sei gar nicht gefragt worden.

 Ich sage Ihnen: das Rote Kreuz hätte den Zuschlag nicht mehr bekommen, und wenn sie sich noch so gut beworben hätten!

European Homecare ist der Discounter unter den Privatanbietern, die sich an der Flüchtlingshilfe eine goldene Nase verdienen. 

20 Milliarden Euro stellte die Bundesregierung 2016 für die Versogung der Flüchtenden bereit. Kein Wunder, dass sich da die Hyänen drum streiten und Geschäftemacher versuchen, die Kosten für die Kommunen auch noch in die Höhe zu treiben. 

Recherchiert man zu Flüchtlingsfirmen, stößt man auf Begriffe, wie „Glücksritter“ oder „Lizenz zum Gelddrucken“.

Der Umsatz von European Homecare ist in den vergangenen Jahren von 17 auf 100 Millionen Euro gestiegen. Die Geschäftsführung redet von einer glänzenden Geschäftsperspektive.

Der Marktführer im Flüchtlingsgeschäft ist European Homecare, mit derzeit 2000 Mitarbeitern und 100 betreuten Unterkünften. 
Wobei das Wort „betreut“ in diesem Zusammenhang nur begrenzt tauglich ist.
Es geht in erster Linie ums Geschäft. 
Schauen sie mal auf die homepage, wo in bestem neolibealen Neusprech steht: „Wir sind ein kleines schlagkräftiges Team mit großer Erfahrung und geringen Overheadkosten“.

Sie haben eine Firma ausgesucht, die gleich auf mehreren Ebenen die Methoden des neoliberalen Wolfskapitalismus anwendet. Und Sie wissen das!

Denn mit wenig Recherche kann man eine Menge über die Firma herausfinden, was ich ihnen jetzt mal stark verkürzt vorstellen möchte:

1. European Homecare unterbietet die Wohlfahrtsverbände systematisch. Es gibt einige Fälle, in denen sich die Diakonie erst gar nicht gegen European Homecare beworben hatte, weil sie dieses Dumping ihren Mitarbeitern und den Flüchtlingen nicht zumuten wolle. Aus moralischen Gründen.  Die haben immerhin noch eine Moral!

European Homecare nimmt, was sie kriegen kann: In Saarlouis 87 Euro und in Velbert 1500 Euro pro Monat. 

Vielleicht verraten sie uns ja mal, welchen Betrag Sie ausgehandelt haben. Wie heißt es so schön? Das Parlament kontrolliert die Verwaltung?

2.

Mit einer Unterlassungsaufforderung der Rechtsanwaltskanzlei CATO (eingegangen am 12. 12. 2016) wurden wir zu folgendem aufgefordert:

„Die Wetterauer Zeitung (08.12.2016) zitiert Sie mit der Tatsachenbehauptung, dass EHC „Wachmänner aus dem rechten Milleu“ beschäftigt und die „Arbeitsbedingungen… hochproblematisch“ seien.“
Wir haben nicht das Geld, um uns zu streiten. Deshalb nehmen wir diese Aussage aus der Rede heraus. (13. 12. 2016)

  Die Gewerkschaft berichtet von 15 Prozent Krankenstand, 11 bis 13 Stunden-Schichten, Sozialpädagogen oder Sozialarbeiter verdienen 1900 bis 2000 Euro brutto.

Häufig werden keine Fachkräfte beschäftigt. In Marburg kündigte European Homecare sogar Fachkräften, die sich „zu stark um die Belange der Flüchtlinge“ gekümmert hätten und weniger „um betriebswirtschaftliche Strukturen“.

Haben Sie eigentlich den Einsatz von Fachkräften und Qualitätsstandards in Ihrem Vertrag vereinbart? 

Das wäre nötig.

Denn bei European Homecare sind für Fachkräfte offensichtlich keine Qualifikationen festgelegt, sondern eine Leistungsbeschreibung: so können zahlreiche Quereinsteiger mit eigenem Migrationshintergrund eingestellt werden – und die sind dann schon mal Friseur oder Architekt, wie es in Marburg ans Tageslicht kam.
Das wäre an sich nicht zu beanstanden, wenn ausreichend beraten würde, wenn es vor Ort eine neutrale Kontroll- und Beschwerdeinstanz gäbe. Die gibt’s aber nicht.

3. Augenfällig ist eine lange Kette von Skandalen und Ungereimtheiten, die die Firmengeschichte von European Homecare begleiten.

Es gab den Einsatz von arbeitslosen Umschülern als Automechaniker, es gab gewaltsame Übergriffe des Wachpersonals auf Flüchtlinge, Misshandlungen, die mit dem handy gefilmt wurden, Vergewaltigungen, sogar über einen Todesfall wird berichtet.

Mit einer Unterlassungsaufforderung der Rechtsanwaltskanzlei CATO (eingegangen am 12. 12. 2016) wurden wir zu folgendem aufgefordert:

„Die Wetterauer Zeitung (08.12.2016) zitiert Sie mit der Tatsachenbehauptung, dass EHC „Wachmänner aus dem rechten Milleu“ beschäftigt und die „Arbeitsbedingungen… hochproblematisch“ seien.“
Wir haben nicht das Geld, um uns zu streiten. Deshalb nehmen wir diese Aussage aus der Rede heraus. (13. 12. 2016)

 … Es gibt Berichte über einschüchternde Hausordnungen und Drohungen, mangelhafte Versorgung (2 Rollen Klopapier pro Monat). Flüchtlinge leisten selbst medizinische Hilfe, weil der Gang zum Arzt nicht organisiert wird, und was man sonst noch so nettes alles findet.

Meine Damen und Herren,

mit dieser Firma arbeitet der Wetteraukreis nun zusammen.

Ich sags mal so: Viele finden, Schlepper sind unmoralische Geldmacher. Erst recht muss man finden, dass European Homecare ein unmoralischer Geldmacher ist! Das ist mannigfach bewiesen!

Ich finde nicht, dass Sie sich aus der Verantwortung ducken können, Herr Landrat! Frau Sozialdezernentin! Es geht um Menschen und nicht ums Geschäft. Nicht sozial ist, wenn einem egal ist, wer Menschen betreut. Ihre Verantwortung für schutzsuchende Menschen können sie nicht privatisieren.

Auch bei der Flüchtlingsarbeit haben Sie kein Konzept. Dabei brauchen Sie es eigentlich nur bei weitsichtigeren Städten oder Kreisen abzuschreiben: Ich will jetzt nicht gleich das Berliner Konzept „Vielfalt fördern“ ansprechen. Aber das ist von 2007!!!

Aber es gibt auch in Osnabrück, in Thürigen, in Rheinland-Pfalz und Brandenburg interessante Konzepte. 

Diese Konzepte erfassen die Lebenssituation der Flüchtlinge, analysieren die Wohnraumsituation, die Möglichkeiten für niedrigschwellige Beratung und Fürsorge, die Basisversorgung, Bildung und medizinische Betreuung. Und sie schaffen Wege für einen sozialen Zugang der Flüchtlinge in die Bevölkerung. 

Es werden also Integrationsperspektiven formuliert und eröffnet. Es wird nicht nur im Nachgang auf Sachzwänge reagiert, wie sie das tun.

Meine Damen und Herren!

Ich habe jetzt einige wichtige Punkte weggelassen, die eigentlich heftig kritisiert werden müssten:

 So zum Beispiel die Geldverschwendung, die Sie mit den hauptamtlichen Kreisbeigeordneten betreiben. Solcher Parteienproporz schürt Unmut und Politikverdrossenheit. Und Ihre eigenen Sparprogramme werden ad absurdum geführt.

Und ich will auch noch kurz etwas zu dem Tarnkäppchen sagen, das sich Sozialbudget nennt.

 Da werden 25 Millionen aus dem Haushalt extra zusammengefasst und der Sozialdezernentin unterstellt. Man fragt sich schon: Was ist mit dem restlichen Sozialhaushalt? Ist der wem anderes unterstellt? Was soll das heißen, wenn Sie sagen, Sie wollen für Partner verlässlich und planungssicher sein? Ist der Haushalt des Wetteraukreises selbst nicht verlässlich und planungssicher?
Oder was soll es bedeuten?

Will man dem ehemaligen Koalitionspartner von den Grünen zeigen, wie Sozialpolitik geht – wie Bardo Bayer in der Wetterauer Zeitung zitiert wurde?

Oder soll die neue Sozialdezernentin zukünftig Haushaltsmittel öffentlichkeitswirksam als Mäzenatin übergeben können? 
Ähnlich wie bei den Bücherkisten für die Friedberger Stadtbibliothek oder den Mitteln für die Musikschule, die als besondere Wohltat des Landrats in der Zeitung vermarktet wurden?
Wir sind gespannt! Wirklich gespannt! Wir vermuten jedoch etwas anderes: Deshalb haben wir einen Antrag gestellt, der die Verschiebung von Mitteln innerhalb des Sozialbudgets verhindern soll. Verlässlichkeit ist nämlich so nicht möglich. Keiner der Haushaltsposten im Sozialbudget ist so üppig ausgestattet, dass er eine Kürzung vertragen würde.

Zuletzt meine Damen und Herren, möchte ich noch sagen:

Hier wurde schon öfter beklagt, dass rechte Parteien anwachsen und die Demokratie gefährdet sei. Doch nur mit Show und ohne eine konsequente Sozialpolitik wird diese Entwicklung nicht zu stoppen sein! Überheblichkeit, das Schönreden und Wegreden von Problemen führt zu noch mehr Unmut!

Nehmen sie das wahr, meine Damen und Herren! Machen sie wieder Politik für die kleinen Leute!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Und es ist Ihnen sicher nicht entgangen, dass wir den Haushalt ablehnen werden.