Wenn die Brunnen nicht mehr fließen

1885488 artdetail 1prAtN YuN9UKDr. Hans Otto Wack von der Schutzgemeinschaft Vogelsberg gab der Wetterauer Zeitung ein Interview. Nach zwei trockenen Sommern scheint sich die Trockenheit auch 2020 fortzusetzen. Das hat bedenkliche Auswirkungen auf das Grundwasser der Region. 
Es wird höchste Zeit für eine nachhaltige Wasserwirtschaft!

 

 

 

Wenn die Brunnen nicht mehr fließen

WZ vom 28. 4. 2020 von Burkhard Bräuning

Der Vogelsberg ist das zentrale Gebirge im Verbreitungsgebiet unserer Zeitungen. Unter den Basaltmassen lagern gewaltige Mengen Grundwasser. Vor allem das Abpumpen in das Rhein-Main-Gebiet lässt die Pegel dramatisch sinken. Dr. Hans Otto Wack von der Schutzgemeinschaft Vogelsberg hat Antworten auf viele Fragen.

Herr Dr. Wack, wann haben Sie das letzte Mal ein Glas Wasser aus der Leitung getrunken?

Das mache ich laufend – mindesten ein bis zwei Liter am Tag. Etwas anderes kommt beim Wasser nicht infrage.

Nutzen Sie Regenwasser im Haus und Garten?

Ja. Auch wenn es bei einem älteren Gebäude gerade für das WC etwas aufwendiger ist. Ich kann nur dringend empfehlen, in allen Neubauten im Vorhinein für WC, Waschmaschine und Bewässerung gesonderte Betriebswasserleitungen zu verlegen – mit Durchschnittskosten von 20 Euro pro Meter (einschließlich der Arbeitskosten) lohnt sich das auf jeden Fall – gerade auch für die nächste Generation. Nachrüsten ist teurer.

Der Vogelsberg hat eine Fläche von 2500 Quadratkilometern. Wie viel Grundwasser findet man denn unter dem Basaltmassiv?

Die Grundwasservorkommen sind im Untergrund sehr unterschiedlich aufgeteilt. Es gibt kleine Grundwasserkörper, die es gerade mal schaffen, zeitweise kleine Quellgebiete zu versorgen, und die sich direkt aus den Niederschlägen kurzfristig auffüllen. Und es gibt die großen Vorkommen, die im Untergrund miteinander zusammenhängen. Dort findet man Grundwasser, das unter anderem älter als 10 000 Jahre ist. Die Grundwasserfrage bezieht sich im Vogelsberg deshalb nicht auf die absolute Gesamtmenge, sondern darauf, in welcher Zeit Wasserverluste wieder durch Niederschläge ausgeglichen werden können.

Hat die Menge in den letzten Jahren abgenommen?

 

Ja, ohne Zweifel – auch wenn diese Abnahme je nach den örtlichen Verhältnissen sehr unterschiedlich ausfallen kann. Seit 2002 gab es hier keine Nassjahre mehr, in denen es ausgiebig über dem Jahresdurchschnitt geregnet hat. Dagegen häufen sich seitdem die Trockenjahre, in denen es viel zu wenig regnet. Zudem fehlt durch den Klimawandel der Schnee, dessen Schmelze für die Grundwasserneubildung im Vogelsberg von herausragender Bedeutung ist. Selbst wenn es wie in diesem Winter viel regnet, kommt immer weniger davon im Grundwasser an, weil das meiste als Hochwasser schnell zu Tal fließt. Die letzten Jahre waren für die Grundwasserneubildung eine Katastrophe, die sich 2020 offensichtlich noch verstärken wird.

Was schätzen Sie: Wie schnell sinkt der Wasserspiegel im Vogelsberg?

Wie gesagt, stellt sich der Grundwasserverlust örtlich sehr unterschiedlich dar. Er wird am besten am Quellensterben sichtbar: Seit etlichen Jahren nehmen die meisten Quellschüttungen ab, oder existieren nur noch im Winterhalbjahr. Viele Quellen sind vollständig verschwunden. Auch dass jetzt im April schon etliche Oberläufe von Bächen, die eigentlich noch rauschen müssten, ausgetrocknet sind, lässt Schlimmes befürchten. Feuchtgebiete und moorige Auen, die zu den effektivsten CO2-Senken zählen, sind deshalb stark gefährdet.

Ist das eine Folge der Trockenheit – oder wird zu viel ins Rhein-Main-Gebiet geliefert? Oder beides?

Die mangelhafte Grundwasserneubildung ist eine unverrückbare Tatsache. Der Grundwassermangel im Naturraum wird zunehmen. Darauf müsste dringend reagiert werden – alles Grundwasser, das nicht unbedingt gebraucht wird, muss im Boden bleiben. Die großen Grundwasserwerke für den Leitungsverbund Rhein-Main, meist in Auen am Rande des Gebirges gelegen, erzeugen enorme Absenkungstrichter, in die das Wasser unter Umständen aus großen Entfernungen nachströmt. Woher es kommt, wo es dann fehlt und wie lange es im komplizierten Kluftgestein unterwegs war, lässt sich nur vermuten. Daher gilt besonders hier: die Entnahme muss auf das unbedingt notwendige Maß reduziert werden. Das steht übrigens auch so in den Genehmigungsbescheiden der Wasserwerke – nur wird das eben nicht durchgesetzt.

Was hat das Rhein-Main-Gebiet denn für Alternativen?

Das Rhein-Main-Gebiet ist wasserreich – hier kommt, neben den dortigen Niederschlägen, viel Abflusswasser aus Vogelsberg, Taunus und Spessart an. Dieses Wasser wird nur zum kleinen Teil als Trinkwasser genutzt, weil es aufbereitet werden muss, und daher teurer als das Vogelsbergwasser wäre. Führt man sich vor Augen, dass mehr als 60 Prozent des Wasserbedarfs in Rhein-Main keine Trinkwasserqualität haben muss, könnte auch viel billigeres Nichttrinkwasser zum Beispiel für die WC genutzt werden. Damit wird klar: Es könnten dort sehr viel mehr eigene Wasservorkommen genutzt werden. Doch das interessiert die dortigen Entscheidungsträger leider nicht – dazu ist das Geschäft mit dem Vogelsbergwasser wohl einfach zu lukrativ.

Was hat das für Folgen für den Vogelsberg, wenn die Menge des Grundwassers weiter abnimmt?

Maßnahmen für das Begrenzen der Erderwämung ändern an der schleichenden Grundwasserverarmung durch den Klimawandel gar nichts – sie kommen einfach viel zu spät. Und die Hoffnung auf mehr Regen, der die Verluste schon wieder ausgleichen wird, ist reines Wunschdenken. In der Realität dagegen werden die Vegetationsperioden immer länger und intensiver, das heißt, der Naturraum samt Wald und die Landwirtschaft brauchen sehr viel mehr Wasser als bisher. Doch die zunehmend durch Hitze und Wind austrocknenden Oberböden geben das nicht mehr her. Deshalb wird der Vogelsberg mehr denn je auf seine schrumpfenden Grundwasservorräte angewiesen sein.

Was unternimmt die Schutzgemeinschaft gegen die Lieferung ins Rhein-Main-Gebiet. Was ist Ihre Kernaufgabe?

Die SGV hat in den letzten 30 Jahren gegen den Grundwasserraubbau durch das Abpumpen nach Rhein-Main hart, aber auch durchaus erfolgreich gearbeitet. Ein Resultat der SGV ist die seit 2000 gültige umweltschonende Grundwassergewinnung, ein zweites das 2019 verabschiedete neue hessische Leitbild für eine nachhaltige Wasserressourcenbewirtschaftung. Dennoch reicht all das noch lange nicht, um den Wasserhaushalt künftig zu schützen – jetzt muss die SGV dafür kämpfen, dass diese durchaus guten Bestimmungen von den Behörden auch in die Praxis umgesetzt werden. Denn das Verbrauchsgebiet, also der Verursacher des Wasserexports, sperrt sich vor allem aus kommerziellen Gründen dagegen, auf Vogelsbergwasser zu verzichten.

Die Bevölkerungszahl im Rhein-Main-Gebiet nimmt weiter zu. Das heißt, es wird auch mehr Wasser gebraucht. Wie kann man Besiedelung und Versiegelung im Rhein-Main-Gebiet stoppen.

Der Klimawandel mit seinen extremen Hitzeperioden und dem heftigen Hochwasser zwingt auch die Städte dazu, weniger zu versiegeln und mehr Grün zuzulassen. Frankfurt war 2018 und 2019 die heißeste Stadt Deutschlands mit einem enormen Gesundheitsrisiko für Menschen mit bestimmten Erkrankungen. Für die Wasserbewirtschaftung heißt das: Das Niederschlagswasser dort, wo es auf versiegelte Flächen auftrifft, zu speichern, und nach und nach für das Verbessern des Stadtklimas und für das Entlasten der Trinkwasserversorgung zu verbrauchen. Damit wird in den Betriebswasserspeichern wieder Platz für Starkregen geschaffen. Und vor allen Dingen die dortigen Brunnen und Wasserwerke schützen und intensiver betreiben. Das würde auch den Vogelsberg entlasten. Doch das Rhein-Main-Gebiet geht diese Aufgabe nur zögerlich oder gar nicht an.

Das Abpumpen ist das eine, das andere ist die generelle Trockenheit als Folge des Klimawandels. Kann man hier in der Region etwas dagegen tun?

Leider lassen sich seitens der Wasserversorger aus unserer Sicht mit dem Vogelsbergwasser viel zu gute Geschäfte machen. Daher muss die Region gegen das Abpumpen selbst weiter aktiv angehen. Aber das ist nur ein Teil dessen, was notwendig ist. Vor allem müssen auch die starken Oberflächenabflüsse, die wiederum den wasserbindenden Oberboden abschwemmen, verhindert werden – das heißt, das Wasser ist so weit wie möglich auf dem Berg zu halten. Aktive Drainagen und ausgebaggerte Gräben machen genau das Gegenteil. Es gibt im Vogelsberg ein paar sehr gute Beispiele, wie das funktionieren kann – beispielsweise mit den Rückhaltekaskaden bei Herbstein. Damit löst man verschiedene Probleme: eine verbesserte Grundwasseranreicherung, einen Beitrag zum Hochwasserschutz, das Schaffen von wichtigen Feuchtbiotopen im Sinn der Biodiversität und des Insektenschutzes, Wasserreservoire im Fall von Waldbränden und, in die Zukunft gedacht, Wasserbecken für die landwirtschaftliche Bewässerung im Frühjahr und im Sommer.

Könnten wir hier in Deutschland irgendwann einmal so etwas erleben wie beispielsweise in Australien, Afrika und auch in Kalifornien – monatelange Trockenheit, Waldbrände, Versteppung?

Wir sind auf dem Weg dorthin. Gerade der Versteppung großer Flächen durch Wassermangel, Waldsterben, Bodenerosion durch starke Wasserabflüsse und viel Wind, brachliegende Äcker, mangelnde Humusbildung und anderes wird noch viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Und bei allen Gegenmaßnahmen spielt das Wasser eine führende Rolle So sind alle gut gemeinten Aufforstungsmaßnahmen völlig witzlos, wenn die Setzlinge nach ein oder zwei Jahren am Wassermangel eingehen. Diese schmerzliche Erfahrung machen gerade viele Aufforstungsprogramme, die ohne ein schlüssiges Wasserkonzept angegangen wurden.

Der Oberwald gibt dem Hohen Vogelsberg sein markantes Profil. Ist der Wald von dem Wassermangel massiv bedroht?

Eindeutig ja. Wassermangel reduziert die Widerstandsfähigkeit der Bäume gegen Krankheiten enorm. Egal ob Borkenkäfer, Eschentriebsterben, Ahorn-Rußrindenkrankheit oder absterbende Setzlinge – Bäume mit Wassermangel können sich dagegen nicht wehren. Von großem Vorteil sind daher Projekte wie das Wiedervernässen des Hochmoores im Oberwald, das Zuschütten von Abzugsgräben und ähnliche Maßnahmen.

Wenn man den Vogelsberg neu bepflanzen würde, was würde man für Bäume auswählen?

Nun, das ist auch für die Forstleute noch recht ungewiss – hier wird noch sehr viel experimentiert. Leider erwischt es mittlerweile auch Buchen und andere Baumarten, die bislang als stabil galten. Die klimatische Umbruchphase, in der wir leben, ist ein echtes Problem. Ein noch völlig unterschätztes, von Standort zu Standort unterschiedlich auftretendes Problem ist auch die Nährstoffverarmung der Böden durch Erosion und eine mangelhafte Humusbildung. Einen neuen, hoffnungsvollen Ansatz stellt hier das sogenannte Agroforst-System dar, bei dem Landwirtschaft und Forst Hand in Hand arbeiten – auch weil dieses eine bessere ökonomische Bilanz verspricht. Hierzu wird recht viel an der Universität Witzenhausen entwickelt.
Deutschlands Oberförster Peter Wohlleben sagt ja, man soll den Wald sich selbst überlassen. Funktioniert das?
Ach, na ja, es gibt bei uns viele erfahrene Oberförster mit sehr unterschiedlichen Ansätzen und Lösungsvorschlägen. Es wäre zu wünschen, dass begriffen wird, dass hier weniger das Konkurrenzdenken und der Missionseifer, sondern mehr der Wille zur Kooperation der Fachleute gefragt ist. Ähnlich wie bei der grassierenden Corona-Epidemie, die nur mit solidarischem Handeln bekämpft werden kann, ist es ein Problem der Gesamtgesellschaft, Klimawandel, Wassermangel und Waldsterben in den Griff zu bekommen.

Quelle: Gießener Allgemeine