Herr Kreistagsvorsitzender, geschätzte Anwesende,
zuerst mal vielen Dank an alle, die diesen Haushalt aufgestellt haben. Formal ist er übersichtlich und hat eine verständliche Systematik, was sehr hilfreich für alle ist, die sich nicht dauernd mit Haushalten beschäftigen. Danke dafür – das war ja nicht immer so!
Die Fraktion DIE LINKE. wird den Haushalt ablehnen. Inhaltlich haben wir grundlegende Kritik.
Dieser Haushalt, meine Damen und Herren, ist leider nur ein „weiter so“. Und das in Zeiten mit wirklich schwerwiegenden Problemen, die zwingend und ohne zögern angegangen werden müssten.
Wenn man den Haushalt anschaut, sind vor allem die Teile interessant, die fehlen und nicht die Teile, die natürlich drinstehen, weil der Wetteraukreis dazu – und man muss ja sagen „zum Glück!“ – gesetzlich verpflichtet ist und sie umsetzen muss.
Aber auch hier, bei den gesetzlich vorgegebenen Aufgaben, bringen Sie, meine Damen und Herren der Koalition, viel Energie auf, um insbesondere die sozialen Leistungen auszuhöhlen und zu untergraben.
Gehen wir in die Details:
Da ist zuallererst die Wohnungsnot bei bezahlbarem Wohnraum. Im Haushalt kommt dazu bezeichnenderweise nichts vor. Es ist kein Geld eingeplant. Wir haben hierzu einen Änderungsantrag gestellt.
Wenn heute der Landrat überall in der Presse jammert und heult, Geflüchtete könnten nicht untergebracht werden, dann ist das Politikversagen, wenn man es freundlich ausdrückt!
Und ich sage Ihnen auch wieso: Ihre Fraktionen haben seit Jahren das Problem mit der Wohnungsnot im unteren Preissegment total ignoriert. Dafür gibt es keine Entschuldigung.
Dass Sie es nicht gewusst haben, können sie nämlich nicht behaupten: Seit 2012 und dann mit noch mehr Nachdruck seit 2015 haben wir immer wieder auf das Problem aufmerksam gemacht.
Gut, auf uns wollen Sie nicht hören. Aber es wurde ja nicht nur von uns, sondern auch von Sozialverbänden, Gewerkschaften und von Mietervereinigungen darauf hingewiesen, dass bezahlbarer Wohnraum fehlt. Selbst in den offiziellen Statistiken ist es zu lesen.
Wir haben hier immer wieder eine kreiseigene Wohnungsbaugesellschaft beantragt. Aber Sie haben davon jahrelang nicht nur nichts wissen wollen: Sie haben darüber hinaus tatenlos zugesehen – und tun es noch – wie in den letzten 10 Jahren 40 Prozent der Sozialwohnungen im Wetteraukreis abgebaut worden sind. Sie haben nichts, gar nichts, getan, wenn die Kommunen ihre Wohnungen verkauft oder umgewidmet haben. Oder wenn sie die eigentlich gesetzlich geforderten Notwohnungen gar nicht mehr vorhalten.
Ach, Sie sind nicht zuständig? Sind Ihre Parteikollegen nicht in den kommunalen Parlamenten? Sind SPD und CDU aber auch andere Parteien nicht die Verantwortlichen in den kommunalen Parlamenten und auch in Land und Bund?
Nicht zuletzt hätten Sie mit einer kreiseigenen Wohnungsbaugesellschaft und mit einem entsprechenden politischen Willen allerhand verhindern – sehr wahrscheinlich auch verbessern – können.
Vor der letzten Kommunalwahl sahen Sie sich dann endlich gezwungen, einen Beschluss zur Gründung einer kreiseigenen Wohnungsbaugesellschaft zu fassen. Und seitdem betreiben Sie die Realisierung des Kreistagsbeschlusses mit – drücken wir es mal nett aus – geruhsamer Beschaulichkeit . Und sie denken gar nicht daran, die WoBau finanziell arbeitsfähig auszustatten. Leerstelle im Haushalt! Nichts!
Und jetzt suchen Sie das Problem bei Geflüchteten?
Und es ist ja noch viel schlimmer: Der Herr Landrat – allen voran – sucht das Problem nur bei bestimmten Geflüchteten. Über die zahlreichen ukrainischen Geflüchteten beklagen Sie sich nicht.
Da müssten Sie sich ja über die Politik Ihrer Parteien in Berlin beschweren. Stattdessen fordert der Herr Landrat, die Balkanroute zu schließen und Sie weisen die Schuld an den Belastungen den so genannten „Weltflüchtlingen“ zu. In völliger Verkennung der realen statistischen Zahlen.
Aber ich gehe an dieser Stelle jetzt nicht weiter darauf ein, welche tumben Gefühle und Vorurteile hier bedient werden. Ich bleib erst mal bei der Wohnungsfrage.
Meine Damen und Herren,
wenn rund 800 Geflüchtete nicht aus den Gemeinschaftsunterkünften ausziehen können – obwohl sie es dürften – weil sie keine bezahlbare Wohnung finden, dann müsste eigentlich klar sein, wie dringend es bezahlbaren sozialen Wohnraum braucht. Und natürlich ist es dann ein Riesenproblem, wenn noch mehr Geflüchtete kommen. Wo sollen die denn hin? Das ist ja eine berechtigte Frage.
Man könnte – wenn man das politisch wollte – spätestens jetzt umdenken und mit Nachdruck eine soziale Wohnungspolitik beginnen. Damit es wenigstens in mittelfristiger Zukunft zu einer Entschärfung der Wohnungsnot kommen würde. Man könnte sich mindestens so lautstark wie bei der Zuweisung von Geflüchteten dafür einsetzen, dass die Bundesregierung den Koalitionsvertrag umsetzt und 400.000 Sozialwohnungen pro Jahr realisiert.
Stattdessen zeichnen Sie ein Unheilsszenario mit einer Flutwelle von jungen Männern, die uns überschwemmt.
Liebe Leute, die jungen Männer sind doch nicht das Problem, sondern die Ignoranz, mit der die Wohnungsnot behandelt wurde und noch immer behandelt wird!
1. Haben Sie die zinsgünstigen Jahre untätig verstreichen lassen, in denen der Wetteraukreis Überschüsse hatte und in denen das Land Hessen zahlreiche Wohnungsbau- und Förder-programme aufgelegt hatte. Sie haben diese Möglichkeiten nicht genutzt.
JETZT werden Sie uns natürlich wieder mit dem klammen Haushalt kommen… Wir haben kein Geld und so weiter und so fort… Und es ist leider absehbar, dass Sie weiter untätig bleiben und zusehen werden, wie sich die Probleme verschärfen.
Und 2. gehe ich jetzt mal etwas genauer auf die ach so bedrohlichen jungen Männer ein:
Deutschland hat einen Zuwanderungsbedarf von jährlich 400.000 bis 500.000 Menschen.
Jährlich! Nicht einmalig!
Ich zitiere aus der Bertelsmann Studie „Zuwanderungsbedarf aus Drittstaaten in Deutschland bis 2050“: „Ohne Zuwanderung wird (…) das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland bei konstanten Erwerbsquoten bis zum Jahr 2050 um rund 16 Millionen Menschen und damit um 36 Prozent zurückgehen. Ein stark sinkendes Erwerbspersonenpotenzial hat weitreichende gesellschaftliche Auswirkungen Die Verfügbarkeit ausreichend qualifizierter Arbeitskräfte ist eine Grundvoraussetzung für die wirtschaftliche Stabilität eines Landes. Es ist nicht zu erwarten, dass der technologische Fortschritt (z. B. zunehmende Digitalisierung) allein den demographiebedingten Rückgang der Erwerbspersonen auffangen kann. Wenn dieser nicht ausgeglichen werden kann, drohen vielfältige volkswirtschaftliche Konsequenzen.“
Und das sagt auch der Chef der Bundesagentur für Arbeit, das sagt der Bundesverband der Deutschen Industrie, das sagt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, das sagen die Industrie- und Handelskammern. Und zwar weisen ALLE ziemlich nachdrücklich darauf hin, dass diese Zuwanderer aus dem nichteuropäischen Ausland kommen müssen.
Jetzt frage ich Sie, meine Damen und Herren:
In so einer Situation sollen JUNGE Männer DAS Problem sein? Ernsthaft?
Vielleicht machen Sie sich mal stark dafür, dass diese jungen Männer Deutschkurse bekommen und dass für sie Ausbildungsprogramme aufgelegt werden, statt fragwürdige „Das Boot ist voll“ Floskeln aufzugreifen, die rassistische Vorurteile bedienen!
Ich will betonen:
Wir sagen nicht, dass die Integration einfach ist. Selbstverständlich sehen wir die Herausforde-rungen für die Verwaltung, die Kreisspitze und die Kommunen, auch für die Gesellschaft. Aber wenn Sie Ihre Politik nicht ändern, werden die Schwierigkeiten ganz sicher nicht weniger. Und noch dazu werden alle Chancen, alle Positiva der Zuwanderung vertan!
Meine Damen und Herren,
es gibt auch noch ein weiteres Problem, das in Ihrer Darstellung grundsätzlich ausgelassen wird:
Es geht gar nicht nur um Wohnraum für Geflüchtete.
Wir haben inzwischen 25 Prozent der Bevölkerung, die arm sind oder von Armut unmittelbar bedroht. Die Kinderarmut liegt unbestritten und offiziell schon bei 25 Prozent. Ein Viertel der Menschen ist arm.
Und eine bezahlbare Wohnung brauchen nicht nur Sozialhilfeempfänger:innen oder Arbeitslose. Auch die alleinerziehende Mutter, der Familienvater im Niedriglohnsektor, oder die Leute, die im Gesundheitswesen, bei der Kindererziehung oder für die öffentliche Sicherheit ihr Bestes geben, können von ihrem Lohn kaum die Wahnsinnsmieten bezahlen.
Und das ist das zweite grundlegende Problem, das wir mit Ihrem Haushalt haben:
Armut wird als akutes Problem nicht erkannt.
Sie haben auch dieses Mal den Sozialhaushalt budgetiert. Warum machen Sie das?
Offiziell sagen Sie: Das garantiert die Haushaltsmittel in diesem Bereich. Aber die Bereitstellung der Mittel würde auch ohne Budgetierung funktionieren. Das ist Aufgabe eines Haushalts!
Eher sieht es doch so aus:
Sie können ohne Beschluss des Kreistags Mittel innerhalb des Budgets verschieben, zum Beispiel um Löcher zu stopfen. In einigen Teilhaushalten wird versucht zu sparen, um in anderen Haushaltsbereichen keine höheren Mittel ausweisen zu müssen.
Letztes Jahr konnten wir das mal beobachten.
Die Kinder- und Jugendhilfe hatte durch neue Aufgaben mit einer enormen Steigerung von 4,9 Millionen zu kämpfen. Das konnte nicht durch Mittelverschiebung im Sozialbudget ausgeglichen werden. Sie brauchten damals einen Kreistagsbeschluss, um Mittel des Jobcenters in die Kinder- und Jugendhilfe umzuleiten.
Wir verstehen, dass Jugendhilfe viel kostet. Aber braucht das Jobcenter wirklich 4,9 Millionen Euro nicht?
Hier wurde einmal deutlich, dass es durchaus problematisch sein kann, Mittel von einem Teilhaushalt zum anderen zu verschieben. Innerhalb des Budgets sind die Umschichtungen aber problemlos möglich und es ist nicht demokratisch kontrollierbar, ob es dort, wo man das Geld abzieht wirklich nicht benötigt wird.
Nun wäre das kein Problem, wenn es keine Auswirkungen auf die Menschen hätte.
Aber wir sehen Indizien dafür, dass es Auswirkungen hat.
Ein paar Beispiele, die uns aufgefallen sind:
Um Geld zu sparen, gibt es Verzögerungen bei der Gewährung von Leistungen.
Solche Verzögerungen passieren zum Beispiel in besonderem Maße bei der Unterhalts-vorschusskasse. Aber auch beim Sozialamt bei der Grundsicherung. Häufig wenn eine Erstausstattung für Kinder oder generell der Wohnung nötig ist. Auch im Jugendamt kommen solche Verzögerungen vor.
Wie läuft das ab?
Es werden Unterlagen angefordert, die schon abgegeben wurden oder von denen klar ist, dass sie schwerlich beschafft werden können. Es werden Belege doppelt und dreifach verlangt und Nachweise nicht anerkannt. Und dann lässt man sich noch viel Zeit oder vergisst auch mal die eine oder andere eingereichte Quittung, den ein oder anderen Antrag.
Dann werden die Leistungen im ersten Durchgang oft abgelehnt. Bei einem Widerspruch und nach viel hin und her wird dann endlich gewährt, was den Menschen zusteht. Manchmal erst, nachdem ein Rechtsanwalt bemüht wurde.
Den Zweck, die Leistungen zu verzögern hat das dann aber erfüllt.
Besonders fragwürdig sind zeitliche Verzögerungen oder gar Nichtgewährung von Leistungen, wenn es um Darlehen geht. Ich wiederhole: Um Darlehen! Die sowieso zurückgezahlt werden müssen. Das passiert etwa bei der Kaution für eine Wohnung oder wenn Weißwaren neu beschafft werden müssen – also eine Waschmaschine oder ein Herd.
So ein Darlehen kann von den Betroffenen nicht auf einmal zurückgezahlt werden. Es gibt oft niedrige Ratenzahlungsvereinbarungen. Da lässt sich durch Nichtgewährung oder Verzögerung viel Zeit und Geld einsparen!
Genauso bei der Genehmigung zum Umzug. Menschen, die Sozialleistungen erhalten, brauchen diese Genehmigung, ehe sie einen Mietvertrag unterschreiben dürfen. Wahrscheinlich weil man Umzugskosten und Kautionsdarlehen einsparen will, dauern Genehmigungen bis zu sechs Wochen. Jeder, der den Wohnungsmarkt kennt, weiß, dass dann meistens die angebotene Wohnung weg ist. Der Kreis spart Geld.
Dann kommt es in letzter Zeit vermehrt zu einer weiteren unschönen Sparmaßnahme:
Bei einer Anerkennung des Flüchtlingsstatus und nach Erteilung des entsprechenden Aufenthalts wechseln Geflüchtete aus dem AsylbLG (Sozialamt des Wetteraukreises) zu Leistungen nach SGB II (Jobcenter). Wenn dieser Wechsel bevorsteht, stellt das Sozialamt des Wetteraukreises die Leistungen nach AsylbLG ein und informiert die Betroffenen, dass sie jetzt einen Antrag auf Hartz4 beim Jobcenter stellen sollen.
Das Jobcenter braucht wochenlang, diese Anträge zu bearbeiten. Wir kennen einen Fall, in dem es drei Monate gedauert hat, bis die Leistungen bewilligt wurden. In dieser Zeit erhalten Betroffene keine Unterstützung: Das Sozialamt fühlt sich nicht mehr zuständig, das Jobcenter noch nicht. Die Menschen – oft Familien mit Kindern – leihen sich Geld mühselig zusammen, um diese Zeit unter großer Belastung, oft auch mit zu wenig Nahrung zu überstehen und stehen dann vor einem Schuldenberg. Des weiteren zeigte sich mehrfach, dass erst ab der Entscheidung über den Antrag die Leistungen nach SGB II ausgezahlt werden. Und nicht ab Eingang des Antrags!
So entstehen Zeiten, in denen die Existenz der Menschen nicht gesichert ist.
Das Sozialamt mag nicht mit dem Jobcenter kommunizieren und warum?
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!
Meine Damen und Herren,
Als Letztes möchte ich noch auf unsere Anträge zum Haushalt eingehen:
Wir fordern eine bessere Kapitalausstattung der WoBau. Aber auch, dass die Wohnungsbörse, die für ukrainische Geflüchtete im Kreis aufgebaut wurde, für alle betrieben wird: Für alle Geflüch-teten und auch für alle Menschen, die eine bezahlbare Wohnung suchen.
Es ist eine gute Initiative, die wir gerne verstetigt sehen möchten.
Der zweite Antrag beschäftigt sich mit den hohen Kosten für Strom und Mobilität.
Beide Posten belasten Menschen mit geringem Einkommen in besonderem Maße.
Der Wetteraukreis kann sowohl auf die OVAG als auch die vgo Einfluss nehmen. Die Einführung einer entsprechenden Sozialchipkarte liegt also in seiner Hand.
Und damit kann armen und einkommensschwachen Menschen wirksam geholfen werden.
Der dritte Antrag beschäftigt sich mit einer ziemlich dreisten Verzögerung:
Seit Jahren liegt ein Aktionsplan Inklusion für die Wetterau vor. Er wurde von einer engagierten Arbeitsgruppe ausgearbeitet und schimmelt seither in irgendwelchen Aktenschränken vor sich hin. Das ist skandalös!
Die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung gilt auch hier bei uns. Und auch der Aktionsplan der Bundesregierung muss in der Wetterau umgesetzt werden!
Sie von der Koalition kriegen das ja offensichtlich nicht hin. Also beantragen wir eine Stelle dafür, die sich darum kümmert und am Ball bleibt.
Und last not least: Der Klimaschutz ist auch so ein Bereich, der im Haushalt nicht mit der nötigen Anstrengung vorkommt. Die Mittel sind in vielen Teilhaushalten verstreut und es zeigt sich, dass der Klimaschutzplan des Wetteraukreises nicht wirklich systematisch angegangen wird.
Auch das ist ein Thema, das zwar viel Geld kostet, aber durch Verzögerungen und Unentschlossenheit nur schlimmer wird.
Wir wissen, dass das alles Geld kostet. Doch wenn diese Probleme nicht angegangen werden, stehen Sie schon bald vor dem Schrebnhaufen Ihrer Politik.
Wir bitten um Zustimmung für unsere Anträge.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!