Der Schutzschirm ist ein großangelegtes Kürzungsprogramm

Sehr verehrte Frau Kreistagsvorsitzende,
verehrte Damen und Herren,

die Landesregierung erklärt den Schutzschirm folgendermaßen:
„Ziel des Kommunalen Schutzschirms ist die Wiederherstellung der finanziellen Leistungsfähigkeit in aktuell konsolidierungsbedürftigen Landkreisen und Gemeinden.“

Ja, das sagt die Landesregierung.
Der Landeshaushalt selbst ist jedoch meilenweit von diesem Ziel entfernt,
das von den Kommunen verlangt wird.
Finanzminister Schäfer reduzierte die Nettoneuverschuldung Hessens mit versteckten Kürzungen und Rechentricks – in der Hoffnung, vor der Wahl keine Bruchlandung zu erleiden.
Diese versteckten Kürzungen haben es in sich:
Zum Beispiel wird die freiwillige Versorgungsrücklage der Beamten ausgesetzt,
oder der nächste Tarifabschluss soll nur die Hälfte dessen betragen, was Länder und Kommunen vereinbart haben.
Diese Einsparungen werden also zum großen Teil auf den Rücken der Beschäftigten abgewälzt.
Ohne diese Abwälzungen würde die Neuverschuldung deutlich mehr als 300 Millionen Euro höher liegen als jetzt geplant.
Also sinkt die Nettoneuverschuldung nur auf dem Papier.
Zum Thema „Einnahmen“ fiel der Landesregierung nichts ein.
Dass das Landesparlament dem Antrag der Linken auf Erhöhung der Grundsteuer zugestimmt hat, war schon pure Verzweiflung. Doch diese Erhöhung reicht ja nicht aus.

Statt den Kommunen für ihre Aufgaben nachhaltig eine bessere Finanzausstattung zu gewähren, fällt der hessischen Landesregierung nichts Besseres ein, als im Kleinen das Rezept zu verordnen, das anderswo gerade ganze Staaten vor die Wand fährt. Der Schutzschirm ist ein großangelegtes Kürzungsprogramm, das immer weiter in die Krise hinein führt statt heraus.

Dauerhaft höhere Einnahmen sind nur mit einer anderen Steuerpolitik zu erreichen.
Wie bei einem Tabu wird darüber hinweggegangen, dass die Verschuldung der öffentlichen Hand eine Kehrseite hat:
Öffentliche Armut und privater Reichtum sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Schulden spiegeln immer Vermögen wieder. Im letzten Jahrzehnt mehrten die Reichen ihr Vermögen auf Kosten der Allgemeinheit. Daran trägt die Politik große Mitschuld.
Der private Reichtum wuchs letztes Jahr durchschnittlich um 6%. Beim obersten Hundertstel der Superreichen betrug der Zuwachs sogar 50%.
Dieser Reichtum ist sehr ungleich verteilt. Das reichste Tausendstel –etwa 70 000 Personen – besitzen 23% des Nettovermögens. In Zahlen: 1 600 Milliarden Euro.
Dem reichsten Prozent – also einem Hundertstel – gehört mehr als ein Drittel des Nettovermögens.

Diese potenteste Gruppe der Gesellschaft bezahlt verhältnismäßig die geringsten Steuern.
Steuergeschenke führten nicht zum erhofften Investitionsfeuerwerk.
Trotz höherer Nettogewinne blieben die Investitionen eher niedrig. Die Betriebe häufen lieber Geldvermögen an. Mit Spekulationen lässt sich in kürzerer Zeit mehr verdienen.
Durch die Steuergeschenke wuchs der öffentliche Schuldenberg auf 2 Billionen Euro an.

Das Stück vom Kuchen für die abhängig Beschäftigten ist seit der Jahrtausendwende immer kleiner geworden. Die Einkommensunterschiede stiegen am stärksten in Deutschland.
Die so genannten deutschen Arbeitsmarktreformen – also Hartz IV und die Deregulierung des Arbeitsmarktes – verursachen eine chronische Lohnschwäche. Niedriglöhne, Leiharbeit und Mini-Jobs drücken das allgemeine Lohnniveau.
Die Tarifflucht der Arbeitgeber tut ein Übriges.
Dank der Lohnflaute kletterten die Gewinne in die Höhe.
Doch auch das hat Folgen für den Staatssäckel: denn das abgehängte Drittel der Gesellschaft zahlt nur geringe Steuern. Dafür stellen die Sozialausgaben hohe Belastungen dar. Die milliardenschweren Einnahmeausfälle in den Steuer- und Sicherungssystemen vergrößerten die öffentliche Armut.

(Zwischenruf von Herrn Haidt, FDP, der das Quatsch findet. Gabi Faulhaber: „Herr Haidt! Davon hat die FDP keine Ahnung! Die retuschiert ja sogar die Armen aus dem Armutsbericht – weil nicht sein kann, was nicht sein darf!“)

Kurzum: Der Anstieg der Staatsverschuldung ist nicht das Ergebnis laxer Haushaltspolitik. Die Legende von der Staatsschuldenkrise entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ökonomisches Märchen. Der Schuldenanstieg resultiert allein aus politischer Reichtumspflege und den Folgen der Finanzmarktkrise.
Das Gemeinwohl schrumpft zugunsten steigender Vermögen.
Damit muss endlich Schluss sein. Die Schuldenfrage ist eine Verteilungsfrage. Der private Reichtum muss zum Abbau der Staatsschulden herangezogen werden.

Verehrte Damen und Herren!

Es ist kein gutes Signal, dass 102 Kommunen unter den Schutzschirm gehen müssen. Vielmehr ist es eine finanzpolitische Bankrotterklärung für die Landesregierung, die den Kommunen den kommunalen Finanzausgleich um 344 Millionen Euro jährlich gekürzt hat.
Das Ganze ist auch eine Bankrotterklärung für die Kommunalpolitik. Denn in den Kreisen und Gemeinden, die unter den Schutzschirm gehen, wird niemand mehr in der Lage sein, Politik zu gestalten. Wenn Kommunalpolitik nur noch unter der Maßgabe gemacht werden darf, dass Ausgaben sinken und Gebühren steigen, ist das faktisch die Abschaffung der Kommunalen Selbstverwaltung.

Die Konsolidierung der Wetterauer Finanzen steht auch mit dem Schutzschirm weiterhin auf tönernen Füßen.
Keinerlei neue Schulden in den nächsten Jahren und die Einnahmen müssen um 3% steigen.
Geht das?
Die Kreisumlage ist schon auf Höchststand.
Also werden wohl Leistungen zurückgefahren. Mit der Schließung öffentlicher Einrichtungen – vor allem im Ostkreis – wird in Kauf genommen, dass Struktur verloren geht. Die Zentralisierung nach Friedberg und der Verzicht auf Strukturpolitik bedeutet auch ein Ausbluten des Ostkreises.
Dazu kommen Verschlechterungen beim Öffentlichen Nahverkehr.
In den Kommunen werden die Gebühren erhöht – vor allem die Gebühren für Kinderbetreuung steigen drastisch an. Tafelsilber wird verkauft, Gewerbesteuer und Grundsteuer steigen, Investitionen können nicht getätigt werden.
Die Teilnahme am Schutzschirm belastet die Bürgerinnen und Bürger also doppelt: mit höheren Steuern und Gebühren und zum anderen durch die Schließung kommunaler Einrichtungen.

Dann: Die Ausgaben dürfen nicht mehr als 2% steigen.
Geht das?
Dies ist bei der derzeitigen krisenhaften Entwicklung nicht vorherzusehen.
Schon eine Erhöhung der Zinsen ließe die Ausgaben steigen.
Dann werden die Auswirkungen der sozialen Deklassierung eine Mehrbelastung mit sich bringen. Die Zahl der Menschen, die Sozialhilfe oder Wohngeld brauchen, die Grundsicherung im Alter oder durch Erwerbsminderung nötig haben, steigt.
Es ist absehbar, dass infolgedessen vorschlagen werden wird, Sozialausgaben zu kürzen.

Dann gibt es in der Vereinbarung noch ein Schmankerl.
In den Unterlagen zur heutigen Sitzung konnte man lesen: einige Kassenkredite haben einen sehr niedrigen Zinssatz: 0,25 %. Nach der Schuldenübernahme durch das Land – die wird ja auch durch Schulden finanziert – werden dann die Zinsen 2,5% betragen.
Was soll denn das sein? Glaubt man, die Steuerzahler merken’s nicht?

Sehr geehrte Damen und Herren,

Wenn es keine nachhaltigen Verbesserungen der Gemeindefinanzen gibt, wird sich die eingangs zitierte „Wiederherstellung der finanziellen Leistungsfähigkeit“ nicht realisieren lassen.

Dazu sind Einnahmen nötig:
Zum Beispiel eine Millionärssteuer.
Eine 1%ige Millionärsabgabe würde geschätzt über 250 Milliarden Euro erzielen. Mit den Einnahmen könnten Schulden abgebaut werden. Oder es wäre auch möglich, notwendige Investitionen zu finanzieren in Bildung, Gesundheit oder Infrastruktur.

Oder zum Beispiel eine Vermögenssteuer.
Ich weiß, dass einige von Ihnen diese Vorschläge nicht als Wetterauer Problem sehen. Unser Antrag, dass der Wetteraukreis dem Bündnis „Vermögenssteuer jetzt!“ beitritt schaffte es deshalb nicht auf die Tagesordnung.
Einige Kollegen argumentierten: Vermögenssteuer geht an den Bund und nicht an die Wetterau.
Das ist unlogisch! Sie erwarten einerseits Hilfen vom Bund z.B. für die Kinderbetreuung und argumentieren: Vermögenssteuer betrifft uns nicht?
Andere Städte und Kreise haben den Zusammenhang von klammer Kasse und Steuereinnahmen begriffen und sind dem Bündnis beigetreten. Geben sie mal „Vermögenssteuer jetzt!“ in die Suchmaschine Ihres Computers ein!

Überhaupt scheinen mehr Einnahmen in der Wetterau Irritationen hervorzurufen.
Wenn schon der Landesrechnungshof darauf hinweist, dass die Kreise sich einen Teil der Bilanzgewinne der Sparkassen ausschütten lassen sollten, versteht man nicht, warum das in der Wetterau auf Ablehnung stößt.
Das Sparkassengesetz erlaubt, bis zu zwei Drittel der Gewinne auszuschütten.
Die Sparkasse Groß Gerau schüttet beispielsweise 53% aus.
Doch hier wurde der Antrag der Linken, sich mit dem Vogelsberg zu verständigen und 40% Gewinnabführung zu erreichen, als „unrechtmäßig“ erklärt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Sie alle gehören einer Partei an. Und zwar alle einer Partei, die für die Schuldenbremse gestimmt hat, die für Steuersenkungen bei Superreichen verantwortlich ist oder einer Partei, die die Finanzmärkte dereguliert hat und den Arbeitsmarkt.
Was haben Sie getan, damit in ihrer Partei ein Kurswechsel stattfindet?

Sie, meine Damen und Herren, wissen alle:
mit der derzeitigen Finanzausstattung können die Kommunen überhaupt keine Konsolidierung ihrer Haushalte erreichen.

Ich zitiere die Aussage des Landrats auf eine Anfrage der FWG:
„Das geplante Haushaltsdefizit des Wetteraukreises beträgt in den Jahren 2012 über 36 Millionen Euro und 2013 rund 31 Millionen Euro. Angesichts dieser Defizite und auf Grund der Tatsache, dass rund 99 Prozent aller Ausgaben des Kreises Pflichtausgaben sind, die durch Bundes- und Landesgesetzte festgelegt sind, erscheint ein dauerhafter Haushaltsausgleich derzeit unrealistisch.“

Dem haben wir nichts hinzuzufügen…