DIE LINKE. Faktion stellte am 19. Dezember 2011 eine dringliche Anfrage.
Am 5. Januar 2012 antwortete Landrat Arnold (statt des zuständigen Dezernenten Betschel-Pflügel)
Einleitend zur dringenden Anfrage der uns bekannte Sachverhalt:
In Altenstadt ist der gebürtige Armenier Mamikon Sogamanian, sein Bruder Mikran und seine Mutter abgeschoben worden. Mikran und seine Mutter waren am Mittwoch auf dem Ausländeramt in Büdingen und wollten ihre Aufenthaltsgenehmigung verlängern lassen. Plötzlich standen mehrere Polizeibeamte im Zimmer und teilten den beiden mit, dass sie unverzüglich nach Armenien abgeschoben würden. Mit ca. 20 Polizisten wurden die beiden zu ihrer Wohnung gefahren. Die Wohnung wurde umstellt und der erkrankte Bruder Mamikon aus dem Bett geholt, mit der Aufforderung, nur das Nötigste zu packen (10 Uhr). In Handschellen abgeführt wurden die drei sofort zum Flughafen Frankfurt gefahren. Um 15 Uhr saßen sie im Flugzeug und wurden nach Moskau ausgeflogen.
Mamikon(20) erlitt noch auf dem Flug einen Kollaps, sein Bruder Mikran(26) versuchte sich das Leben zu nehmen und die Mutter bekam einen Herzinfarkt. Sie befinden sich z.Zt. in einem Krankenhaus in Moskau.
Den Vater, der schwer Herzkrank ist, hat man nicht abgeschoben, da den Beamten das Risiko zu groß war. Dieser ist aber auf die Hilfe seiner Frau bzw. seiner Familie angewiesen!
Mamikon und Mikran haben beide gearbeitet, bis ihnen die Arbeitserlaubnis entzogen wurde. Die Familie ist sozial integriert. Mamikon betreut seit 3 Jahren eine Jugendmannschaft Basketball des VfL Altenstadt. Er selbst hat noch letztes Wochenende in der Herrenmannschaft des VfL gespielt und die Schiedsrichterlizens erworben.
Mamikon und seine Familie leben seit nunmehr 14 Jahren in Altenstadt. Sie mussten aus Aserbaidschan fliehen – sind aber als Armenier keine aserbaidschanischen Staatsbürger und es ist mehr als fraglich wohin sie eigentlich abgeschoben werden können. Da die Familie keine aserbaidschanische Staatsangehörigkeit hat und noch nie in Armenien gelebt hat, ist ihre „Heimat“ unbestimmt. Für die Kinder ist die Heimat Deutschland.
DIE LINKE. stellt dazu die folgenden dringlichen Fragen:
1. Wieso war es so dringlich, die Familie direkt im Amt für die Abschiebung zu verhaften?
Antwort: Die in der Anfrage erwähnten Personen sind ihrer seit vielen Jahren bestehenden Ausreisepflicht nicht nachgekommen. Die bei der Einreise 2997 gestellten Asylanträge wurden noch im gleichen Jahr abgelehnt. Entsprechende Klageverfahren gegen diese Bescheide verliefen ebenfalls negativ für sie und wurden spätestens 2004 rechtskräftig. Auch ein Petitionsverfahren brachte keine andere Entscheidung. Somit waren die Personen zur Ausreise verpflichtet und Ausländerrechtlich lediglich geduldet. Die Duldung ist nach der Definition des deutschen Ausländerrechts eine „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“ von ausreisepflichtigen Ausländern, sie stellt damit keinen Aufenthaltstitel dar und begründet daher keinen rechtmäßigen Aufenthalt. Die Duldung dient ausschließlich dazu, dem Ausländer zu bescheinigen, dass er ausländerbehördlich registriert ist und von einer Durchsetzung der bestehenden ausreisepflicht zeitlich befristet abgesehen wird. Die Personen wurden mehrfach zur Ausreise aufgefordert und auf ihre Mitwirkung, so z.B. bei der Beschaffung der notwendigen Dokumente hingewiesen. Nachdem sie mehreren Aufforderungen nicht nachkamen, wurden die notwendigen Papiere und Nachweise seitens der zuständigen Behörde bereitgestellt. Schließlich setzte die Zentrale Ausländerbehörde bei dem Regierungspräsidium Darmstadt, der bereits im Jahr 2005 federführend zuständig ist, für den 14.12.2011 die Abschiebung an.
2. Für was war die hohe Polizeipräsenz nötig?
Antwort: Mit wie vielen Polizeibeamten eine Abschiebung durchgeführt wird, bestimmt ausschließlich die Polizei.
3. Warum wird die Familie, die 14 Jahre in der Bundesrepublik gelebt hat, abgeschoben?
Antwort: Die gesamte Familie war seit dem Jahr 2004 nach rechtskräftig negativ abgeschlossenen Asylverfahren vollziehbar ausreisepflichtig, hat aber selbst keinerlei Schritte unternommen, um ihrer Ausreisepflicht nachzukommen. Vielmehr täuschte sie über Jahre hinweg über ihre Identität und Staatsangehörigkeit. Daher konnte der Aufenthalt lange Zeit nicht beendet werden. Die Familie hat selbst nichts zur Klärung beigetragen. Erst nach langwierigen Ermittlungen der Ausländerbehörden konnte ihre Identität und herkunft geklärt werden.
Die Familie stammt nicht wie von ihnen angegeben aus Aserbaidschan, sondern aus Armenien, hat bis zu ihrer Ausreise dort gelebt und verfügt über eine Wohnung in der Stadt Kapan.
Es handelt sich um armenische Staatsangehörige. Bei einer Expertenanhörung (eine armenische Expertenkommission reiste eigens zur Durchführung von Identifizierungsgesprächen ein), die am 17.09.2012 in Bielefeld stattfand, wurde festgestellt, dass alle Familienmitglieder die armenische Sprache fließend beherrschen und einen ganz ausgeprägten „Kapaner“ Akzent/Dialekt verwenden. Dieser Akzent/Dialekt ist in der Region Syunik gebräuchlich und nach der dortigen Bezirkshauptstadt Kapan benannt. Darüber hinaus wurden die Nachbarn der betreffenden Personen in ihrer Heimatstadt von Mitarbeiten der Deutschen Botschaft befragt. Dabei wurde die Identität bestätigt. Erst nach der Expertenanhörung und der Aufklärung der tatsächlichen Herkunft war es der Znetralen Ausländerbehörde beim Regierungspräsidium möglich, für die Ausreisepflichtigen Rückreisedokumente zu beschaffen.
Als Resümee ist festzuhalten, dass die betreffenden Personen ihren langjährigen Aufenthalt in Deutschland durch unrichtige Angaben erreicht haben. Auch die fehlende Bereitschaft, bei der Erlangung von Ausweispapieren mitzuwirken hat dies ihnen ermöglicht. Dies bedeutet konkret, dass bei einer freiwilligen Ausreise nach der rechtskräftigen Ablehnung der Asylanträge eine Rückkehr nach Armenien anders gestaltet hätte werden können.
Es ist positiv registriert und anerkannt worden, dass sich insbesondere die beiden jungen Männer in ihrem Wohnumfeld integriert haben. Damit wäre eine wichtige Voraussetzung erfüllt gewesen, im Wege der sog. „Altfallregelung“ gem. § 104a, Aufenthaltsgesetz einen dauerhaften Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen. Um diese Regelung anwenden zu können, ist es erforderlich, „dass die Ausländerbehörde nicht vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht oder behördliche Aufenthaltsbeendigungsmaßnahmen nicht vorsätzlich hinausgezögert oder behindert wurden.“ Dies trifft leider nachgewiesenermaßen bei den Sogamanians eindeutig zu.
Während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet erhielt die Familie rund 250.000 Euro an öffentlichen Mitteln.
4. Wie soll der Vater nun gepflegt werden?
Antwort: Der in der Anfrage erwähnte Vater ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis und derzeit nicht vollziehbar ausreisepflichtig. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat festgestellt, dass die im Dezember 2010 vorgetragene Erkrankung in medizinischen Einrichtungen in Armenien behandelbar ist. Auch die Medikamente sind erhältlich. Die entstehenden Kosten für die in der fachärztlichen Bescheinigung attestierten regelmäßigen Kontrolluntersuchungen und insbesondere für einen aufgrund der Natur der Herzerkrankung jederzeit erforderlich werden könnenden erneuten Eingriff seien von ihm bzw. seinen Familienangehörigen kaum aufzubringen. Aufgrund dessen wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 30.03.2011 festgestellt, dass er derzeit nicht vollziehbar abschiebepflichtig ist.
Eine Pflegebedürftigkeit des Herrn Sogamanian besteht nicht.
Zwei Schwestern leben in Frankfurt a.M. und im Wetteraukreis. Er ist somit nicht ohne familiäre Unterstützung.
5. Wie verhält sich der Wetteraukreis in dieser Sache? Werden Sie die Petition unterstützen?
Antwort: Soweit mit dieser Frage die Unterschriftenaktion „openpetition“ gemeint ist, gilt selbstverständlich, dass wir die dort sachlich geäußerte Meinung respektieren. Die Möglichkeit zu einem Gespräch besteht unsererseits grundsätzlich immer. Sollte ein formaler Petitionsantrag an den Hessischen Landtag gemeint sein, wird der Wetteraukreis wie üblich mit umfassenden Stellungnahmen zu einer sachlichen Entscheidung beizutragen.
6. Was werden Sie tun, um die Familie wieder zusammenzuführen?
Antwort: Wie bereits unter Frage 3 erläutert, hätte sich die Situation der betreffenden Personen deutlich günstiger dargestellt, wenn Sie nach Rechtskraft der negativen Asylentscheidungen zeitnah freiwillig ausgereist wären. Eine Wiedereinreise und die Prüfung eines möglichen Aufenthaltsrechts richten sich nach den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes. Hier wird Gelegenheit sein, die unbestrittene Integrationsbereitschaft und die Sprachkenntnisse der Familienmitglieder zu berücksichtigen.
7. Wissen Sie, dass die Familie keine Heimat mehr hat und eigentlich das Ziel der Abschiebung höchst fraglich ist?
Antwort: Die Familie hat ein Herkunftsland und verfügt dort über eine Wohnung.