Von Gregor Gysi Was lange währt, wird eben nicht immer gut. Die längsten Koalitionsverhandlungen in der Geschichte der Bundesrepublik mit dem wahrscheinlich längsten Finale haben ein erbärmliches Ergebnis gebracht: eine Koalition, die die soziale Spaltung im Land vertieft und lobbyhörig ist. Die Koalition von CDU/CSU und SPD ist nicht nur von dem Politikwechsel, den die SPD im Wahlkampf versprochen hat, himmelweit entfernt, sondern sie setzt im Kern die Politik von Schwarz-Gelb fort, ergänzt um Sonderwünsche von Horst Seehofer und mit schwerwiegenden Abschlägen für den Osten. Dies ist eine große Koalition, die ganz kleines Karo bringt und in wichtigen gesellschaftlichen Fragen nichts anderes als Stillstand produziert. Ich bin gespannt, wie die SPD-Basis damit umgehen wird, dass ihr Wahlprogramm sich bestenfalls als Randnotiz wiederfindet. Dem Land droht nun eine vier Jahre währende Verwaltung des Status quo ohne Zukunftsimpulse mit fortschreitender sozialer Ungerechtigkeit.
In den kommenden vier Jahren werden in Deutschland die Reichen noch reicher und die Armen noch zahlreicher werden. Großkonzerne und Unternehmerlobby haben dieser Koalition ihren Stempel schon aufgedrückt, bevor sie zu regieren beginnt. Wenn sich die Konjunktur nicht wie gewünscht entwickelt, bleibt von den Koalitionsvorhaben nichts übrig, weil sich die Union einer zukunftsfähigen Finanzierung der Staatsaufgaben durch mehr Steuergerechtigkeit verschließt. Ein Koalitionsvertrag unterm Diktat der Unternehmerlobby Mindestlohn soll erst 2015 und komplett frühestens 2017 kommen, die Ausnahmen für Tarifverträge mit niedrigen Mindestlöhnen treffen vor allem den Osten, aber auch den Westen und bedeuten, dass es in vielen Branchen und vor allem im Osten eben gerade keinen Mindestlohn von 8,50 Euro geben wird. Dass es eine erste Anpassung erst 2018 geben soll ist blanke Realitätsverweigerung. Danach wird der Mindestlohn 2017, wenn er dann wirklich für alle gelten soll, noch 8 Euro wert sein. So kann man Niedriglohn nicht bekämpfen. Keine Begrenzung der Managergehälter Keine Steuergerechtigkeit Rückstellungen der Atomkonzerne zur Bewältigung des Ausstiegs bleiben in der Verfügung der Konzerne, Verzicht auf ein verbindliches Klimaschutzgesetz, stattdessen nur Ziele Die Bedingungen für Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter werden nur kosmetisch verbessert, es bleibt moderne Sklavenarbeit Die große Koalition ist ein bürgerrechtlicher Totalausfall Vorratsdatenspeicherung wird umgesetzt, sechs Monate sollen alle Daten gespeichert werden, das ist eine Einladung an die NSA, sich weiter zu bedienen, und ein unausgesprochener Generalverdacht gegen alle Bürgerinnen und Bürger Die ausdrückliche rechtliche Gleichstellung von Lesben und Schwulen mit der Ehe bleibt aus. Es gibt kein explizites Adoptionsrecht für eingetragene Partenerschaften. Statt politisch die notwendigen Schritte zu gehen, wartet die große Koalition auf das Bundesverfassungsgericht Keine Volksentscheide auf Bundesebene Die Koalition ändert nichts an der sich verschärfenden sozialen Ungerechtigkeit im Land Keinerlei Änderungen am sinkenden Rentenniveau und an der Rente erst ab 67 – Altersarmut nimmt weiter zu, wie auch die Zahlen des aktuellen Sozialreports gezeigt haben: zwar kommt die so genannte Mütterrente und auch die Beschäftigte mit 45 Beitragsjahren können vorerst mit 63 abschlagsfrei in Rente gehen, aber ausgerechnet die ohnehin unzureichende Solidarrente kommt erst 2017 und auch hier bekommt der Osten solange weniger, bis die Rentenwerte angeglichen sind. Nach heutigen Rentenwerten würde diese Lebensleistungsrente im Westen Brutto 844,20 Euro und Netto 756 Euro betragen, im Osten aber nur Brutto 772,20 brutto und netto noch 691 Euro. Das liegt kaum noch über der heutigen Grundsicherung und ist weit weg von den 980 Euro, die der aktuelle Sozialreport als Armutsrisikorente definiert. Bei der Krankenversicherung bezahlen einzig die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Kosten des medizinischen Fortschritts Halbherzige Mietpreisbremse Auch die soziale Ausgrenzung des Bildungssystems bleibt genauso bestehen wie die 16 Bildungssysteme in Deutschland.