Kreistag 3. Dezember 2025
Anpassungsbeschluss 2026 zum Haushalt 2025/2026
Herr Kreistagsvorsitzender, meine Damen und Herren,
wir haben im März bei der Debatte zum Doppelhaushalt 2025/2026 ausführlich zur prekären Situation der Kommunen und den Ursachen dafür gesprochen. Das müssen wir heute nicht alles wiederholen.
Hauptsächlich werden wir heute das Augenmerk auf die Wohnungsfrage richten. Und wir sprechen über konkrete Sozialpolitik.
Unser Blick auf diese Fragen ist nicht der Blick von oben, sondern von unten: Wir schauen uns an, ob und wie die sozialen Rechte und Leistungen bei den Menschen ankommen, die sie brauchen.
Dazu haben wir eine Expertise von inzwischen 13 Jahren, in denen wir zweimal in der Woche bei der SOS-Sozialsprechstunde mitarbeiten. Die Sprechstunde hat immerhin um die 1200 Hilfegespräche pro Jahr geführt. Da kann man ohne Übertreibung sagen: Wir kennen die Schwierigkeiten, mit denen die Menschen kämpfen, die auf soziale Hilfen angewiesen sind.
Ich komme dann also zur Wohnungsfrage, meine Damen und Herren.
Seit Mai 2025 gibt es offiziell die kreiseigene Wohnungsbaugesellschaft.
Sie haben bei der Gründung betont, die WoBau sei Teil einer Strategie, um dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum entgegenzuwirken, was wir natürlich sehr begrüßen.
Inzwischen wurden zwei von drei geplanten Umsetzungsschritten in die Wege geleitet:
Es gibt Förderrichtlinien. Bürger und private Investoren bekommen einen Zuschuss, wenn sie Mietwohnungen schaffen.
Und es sollen Kommunen beraten und unterstützt werden, die sich um Fördermittel für den Wohnungsbau bemühen.
Das ist soweit gut.
Doch der dritte Schritt steht aus. Es wird nicht selbst gebaut.
Und bei Betrachtung des Haushalts sieht es auch nicht danach aus. Zwar ist auf Seite 17 im Anpassungsbeschluss „Wohnen“ unter den Schwerpunkten zu finden – aber eben nur als Wohnbauförderung und nicht als aktiver Posten für neue Wohnungen.
Die Dezernentin orientiert sich an Gießen, wo die dortige WoBau nach Jahren nicht für eine eigene Bautätigkeit weiterentwickelt wurde.
Die Dezernentin rechnet auch nicht mit einem regen Interesse an den Fördergeldern. Wäre es anders, könnte man die relativ geringe Summe von 2,1 Millionen nicht über Jahre ziehen.
Meine Damen und Herren,
Wir dringen darauf, dass die Wohnungsbaugesellschaft des Wetteraukreises auch eine BAUgesellschaft wird – und zwar in absehbarer Zeit – und damit eine Bremse für explodierende Mieten.
Dafür braucht es jedoch eine angemessene Kapitalausstattung, mit der auch leistbare Kredite aufgenommen werden können.
Dass dies möglich ist, zeigt der Blick auf Kommunen, die soziale Wohnungspolitik betreiben.
Wir befürchten, meine Damen und Herren, dass ihnen der heutige Stand der WoBau reicht – aber uns reicht er nicht.
Denn wohnen macht arm. Das ist nicht mehr zu übersehen!
Die Wohnkosten sind so stark angestiegen, dass inzwischen 17,5 Millionen Menschen in Deutschland von Wohnarmut betroffen sind. Werden in die Statistiken die Wohnkosten mit eingerechnet, entspricht die Armutsquote 21,2 Prozent. Besonders betroffen sind Alleinerziehende, junge Erwachsene, Menschen über 65 Jahren und Erwerbslose: Diese Gruppen sind überdurchschnittlich durch die Miete belastet und viele fallen nur deswegen unter die Armutsgrenze.
Wie schlecht die Lage ist, hat nun auch die Wirtschaft festgestellt. Die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum ist die Voraussetzung dafür, dass Fachkräfte gewonnen, bzw. gehalten werden können. Anwärter:innen auf Arbeitsstellen müssen nicht nur Geld für einen Umzug haben, sondern auch vor Ort eine bezahlbare Wohnung finden können.
Das ist – besonders in Ballungsgebieten – nicht mehr der Fall.
Und es wird auch nichts nützen, den Kopf weiter in den Sand zu stecken. Die Wohnungsfrage muss angegangen werden und gehört nicht in die politische Versenkung!
Investitionen in den Bau bezahlbaren Wohnraums müssen vom Wetteraukreis ebenso priorisiert werden, wie Investitionen in den Schulbau!
Und als kleine Anmerkung: Der Sozialindex hätte in diesem Bereich weiter entwickelt gehört, damit er belastbare Zahlen liefert zur Mietpreisentwicklung, zum Leerstand, zum Rückgang der Sozialwohnungen, zur Anzahl fehlender Wohnungen. Will man Wohnungspolitik machen, braucht man solche Informationen. Aber Sie haben ihn fallen lassen und wir haben Zweifel, dass das im Ausschuss vorgestellte statistische Nachfolgemodell diese Informationsaufgabe erfüllen wird.
Noch ein Wort zu den Mietobergrenzen, die ja auch wesentlich darüber entscheiden, ob Menschen mit geringem Einkommen eine Wohnung finden oder nicht.
Der erste Überblick zu den neuen Mietobergrenzen, die ab 1. Januar 2026 gelten werden, zeigt, dass die Wohnungsnot im unteren Preissegment zunimmt. Sie beziehen in die Datenbasis den freien Wohnungsmarkt nur noch mit einem Anteil von 19 Prozent in die Berechnungen der Mietobergrenzen ein. Das wurde im Ausschuss damit begründet, dass nicht mehr Angebote da waren. Jetzt ist der Wohnungsmarkt früher auch nicht angemessen berücksichtigt worden, aber es waren immerhin schon mal um die 24 Prozent.
Und es wäre ja das Wichtigste an dieser Datenbasis, den freien Wohnungsmarkt abzubilden, denn nur dort ist die Anforderung des Bundessozialgerichts gegeben: Für die geltenden Mietobergrenzen müssen auch Wohnungen frei und beziehbar vorhanden sein!
Besser als ein Schlüssiges Konzept wäre also ein Mietspiegel, dem die Marktpreise zugrunde liegen.
Wenn 81 Prozent der Berechnungen mit Wohnungen angestellt werden, die zum Teil Jahrzehnte bewohnt sind, dann verfälscht das jede Statistik.
Trotz all dem mussten Sie nun die neuen Mietobergrenzen für 2026 stark erhöhen. Denn selbst mit dieser eingeschränkten Berücksichtigung des Marktes waren Wohnungen zu Ihren alten Vorgaben kaum mehr zu finden.
Dieser Schritt war längst überfällig! Denn viele Wohnungen der ärmeren Haushalte sind überbelegt. Und Geflüchtete können nicht aus den Flüchtlingsunterkünften ausziehen.
In beiden Fällen kennen wir Menschen, die vom Wetterankreis massiv unter Druck gesetzt wurden, binnen einer bestimmten Zeit umzuziehen. Wohl wissend, dass dieser Druck nur zu psychischen Belastungen und nicht zu Lösungen führt.
Meine Damen und Herren der Koalition,
ihre Parteien sind ja in der Regierung. Und nicht nur in Berlin beklagen sie die steigenden Kosten für die Wohnhilfen. Die Zuschüsse für prekär lebende Menschen und einkommensschwache Haushalte sollen deswegen gekürzt werden.
Und natürlich sind die Wohnhilfen auch zu hoch: Insgesamt wurden 2024 erstmals über 20 Milliarden Euro für Wohnhilfen ausgegeben. Gut 15 Milliarden für Kosten der Unterkunft. Und zusätzlich über 5 Milliarden Euro für Wohngeld.
Aber ohne diese Unterstützung würden 7.930.000 Menschen enorme Probleme haben, sich eine Wohnung zu leisten.
Im Gegensatz zu diesen 20 Milliarden Wohnhilfen geben Bund und Länder zusammen lediglich 2,5 Milliarden für sozialen Wohnungsbau aus! Die Sozialausgaben fürs Wohnen sind damit achtmal so hoch wie die Förderung des sozialen Wohnungsbaus.
Wegen diesem Missverhältnis müssen immer höhere Wohnhilfen gewährt werden und daran sind Ihre Parteien schuld, meine Damen und Herren!
Es wäre also mal ehrlich, wenn diese Kostensteigerungen in einen sozialpolitischen Gesamtzusammenhang eingeordnet würden! Und das sollten Ihre vorlauten Politiker mal dazu sagen, wenn sie über die hohen Wohnhilfen lamentieren: Die andauernde Verweigerung für einen sozialen Wohnungsbau und dass das Geld lieber zigfach für Hochrüstung und Steuergeschenke an reiche Milliardäre und Millionäre verpulvert wird, hat uns in diese Wohnungsnot gebracht und hat ein Fünftel der Bevölkerung unter die Armutsgrenze gedrückt.
Fazit zur Wohnungspolitik in der Wetterau:
Eine Schmalspur-WoBau reicht vielleicht aus, den nächsten Wahlkampf zu überstehen, keinesfalls aber wird sie der Wohnungsnot im unteren Preissegment gerecht! Und von Ihrem Ziel, dass die WoBau Teil einer Strategie sei, um dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum entgegenzuwirken, sind wir ziemlich weit entfernt.
Sie haben den Teil mit der Wohnungspolitik überstanden, meine Damen und Herren. Doch der folgende Teil ist auch kein Loblied.
Ich komme zuerst mal zum Jobcenter.
Hier ist interessant, dass Frau Götz uns auf die letzten Anfragen zum Jobcenter antwortete, wir hätten keinen Anspruch auf die Beantwortung von Fragen, weil der Kreis keinen Bezug oder Einfluss auf das Jobcenter hätte.
Wir hatten ein Déjà vu. Das hatten wir nämlich schon einmal. Der ehemalige Landrat Arnold hat 2012 ebenfalls versucht darzustellen, dass der Kreis nicht für das Jobcenter zuständig sei.
Das konnte er nicht aufrecht erhalten. Wir haben damals das Regierungspräsidium bemüht, um klarzustellen: Ja, es gibt Weisungsaufgaben, die gesetzlich geregelt vom Land an den Kreis übertragen werden. Dazu gehört das Ausländeramt, dazu gehören Wahlen, Zivilschutz, Gefahrenabwehr und viele andere Aufgaben – aber eben nicht das Jobcenter.
Für das Jobcenter gibt es nur zwei Möglichkeiten der Organisation vor Ort: Eine Kommune ist allein zuständig – als Optionskommune – oder die Bundesagentur und die Kommune machen es in Kooperation.
Und im Wetteraukreis ist es eine Kooperation. Der Kreis entsendet Personal ans Jobcenter, ihm obliegen – als einem der Träger – bestimmte Aufgaben und die Leistungen für die Kosten der Unterkunft. Es gibt einen Beirat aus beiden Trägern.
Aber das alles hat mit Weisungsaufgabe vom Land nichts zu tun. Der Kreis ist ohne Zweifel zur Hälfte Träger des Jobcenters und damit auch verantwortlich und man kann keinesfalls sagen, dass er keinen Bezug oder Einfluss auf das Jobcenter hätte.
Noch dazu ist im Dezember 2012 ein Antrag der damaligen Koalition beschlossen worden:
„Das Jobcenter soll zweimal jährlich im Fachausschuss Jugend, Soziales und Gesundheit über die Arbeitsmarktpolitik im Wetteraukreis berichten. Es sollen zum einen die Planungen und Programme für das neue Jahr vorgestellt und zum anderen eine Bilanz der stattgefundenen Arbeitsförderungsprojekte und -maßnahmen vorgelegt werden. Der Kreisausschuss wird als Mitgesellschafter beauftragt, mittels Zielvereinbarungen zu erwirken, einen bestimmten Servicestandard im Jobcenter zu garantieren. Unter anderem soll damit die Verbesserung der telefonischen Erreichbarkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie mehr Transparenz bei der Antragsbearbeitung bis hin zur Erstellung des Bescheids erreicht werden.“
So ist das, liebe Frau Götz. Wir werden also auch zukünftig fragen.
Aber warum wir den Punkt Jobcenter hier vor allem aufführen ist nicht diese Auseinandersetzung ums Fragerecht.
Ein wirklich großes Problem ist, dass unser Jobcenter für die Genehmigung eines Umzugs viel zu lange braucht und die Wohnungsangebote dadurch oft verloren gehen.
Sie wissen, meine Damen und Herren, wie es auf dem Wohnungsmarkt aussieht.
Liegt ein Wohnungsangebot unter den Mietobergrenzen des Wetteraukreises, stehen die Menschen Schlange. Ein Vermieter hat die Auswahl. Er muss nicht wochenlang – ja wochenlang!! – darauf warten, dass das Jobcenter den Umzug genehmigt. Herr Schuld antwortete vor einiger Zeit auf meine Frage im Ausschuss dazu: Das braucht halt seine Zeit.
Echt? Mehrere Wochen?
Dass es auch anders geht, das haben wir beim Jobcenter Frankfurt erfahren: Dort wird die Mietbescheinigung bzw. der Mietvertrag im Eingangsbereich an einem Schalter geprüft, ob die Miete angemessen ist und man bekommt sofort eine Umzugsgenehmigung. Das dauert eine Stunde – und auch nur dann, wenn noch jemand vor einem ist.
Warum geht das im Wetterankreis nicht? Ist man nicht interessiert, dass benachteiligte Menschen eine Wohnung bekommen?
Dann ein Problem, das nicht nur das Jobcenter betrifft. Es betrifft andere Anlaufstellen des Wetteraukreises ebenso.
Es geht um den zunehmenden Digitalzwang.
Eine Digitalisierung kommunaler Verwaltungen ist wichtig. Die Fachstellen müssen leistungsfähig und effizient arbeiten. Auch wir finden gut, dass der Wetteraukreis in diesem Bereich Fortschritte gemacht hat.
Genauso wichtig ist es jedoch, dass Dienststellen des Wetteraukreises für die Bürger:innen weiterhin persönlich erreichbar sind. Nicht alle Fragen können online geklärt werden. Nicht alle Bürger:innen kommen mit digitaler Technik zurecht oder mit teilweise unübersichtlichen Webseiten und Onlineformularen.
Und auch das ist wichtig: Nicht alle können sich einen ausreichenden Internetzugang leisten.
In Deutschland hatten im Jahr 2024 rund 2,8 Millionen Menschen keinen Internetzugang. Es sind keinesfalls nur Ältere, sondern auch Menschen mit geringem Einkommen, Personen mit Behinderungen oder Kranke. Auch diese Menschen brauchen Zugang zu kommunalen Dienstleistungen und möglicherweise auch Beratung und Unterstützung.
Dies fällt nämlich beim Digitalzwang weg. Selbst wenn es – wie beim Jobcenter – eine gesetzliche Verpflichtung zu Beratung gibt.
Auf unsere Anfragen erhielten wir die Antwort, es gebe auch weiterhin analoge Zugänge und analoge Formulare.
Versuchen Sie mal, nur bloß eine Schülerbeförderung analog zu beantragen! Sie werden Ihre Freude haben! Aber leider nicht nur dort.
Nur reicht heute die Zeit nicht, sich über den Digitalzwang in den verschiedenen Bereichen aufzuregen. Barrierefrei ist das Ganze jedenfalls nicht.
Meine Damen und Herren,
zur finanziellen Situation des Wetteraukreises könnten wir eigentlich unsere Rede vom März wiederholen. Keine Angst – dafür reicht die Zeit nicht. Aber einige Anmerkungen wollen wir dennoch machen:
Dass die Schulden des Wetteraukreises in den letzten fünf Jahren um 249 Millionen angewachsen sind, und nun 371 Millionen betragen, zeigt deutlich die Schwierigkeit, mit einer strukturellen Unterfinanzierung alle nötigen Aufgaben zu erledigen.
Da hilft alles Sparen nichts.
Der Hessische Rechnungshof hat kürzlich wieder Alarm geschlagen: Über 80 Prozent der Landkreise und vier von fünf Kommunen – also auch 80 Prozent – sind in der gleichen Situation.
Wir finden es gut, dass der Wetterankreis trotz dieser angespannten Finanzlage an seinem Investitionsprogramm für die schulische Infrastruktur fest gehalten hat.
Bestätigt sehen wir uns in der Einschätzung, dass es falsch war, in den guten Zeiten mit Überschüssen – also etwa von 2014/15 bis 2022 – derart große Summen in die Schuldentilgung zu leiten, statt eine kreiseigene WoBau zu gründen und mit sozialem Wohnungsbau anzufangen.
Aber jetzt wird es ja besser, oder?
Jetzt erhält Hessen insgesamt 7,4 Milliarden Euro aus der Kreditsumme „Sondervermögen“ vom Bund. Davon gehen 4,7 Milliarden Euro an die Kommunen. Das Geld soll über zwölf Jahre verteilt werden, um die Infrastruktur zu modernisieren.
Der Wetterankreis könnte davon im besten Fall 300 Millionen binnen dieser 12 Jahre bekommen. Das wären also maximal 25 Millionen im Jahr.
Dazu sagt der Hessische Rechnungshof: „Die 4,7 Milliarden Euro von Bund und Land mildern zwar die Symptome in den nächsten Jahren. Sie helfen aber langfristig nicht.“
Recht hat er.
Denn wenn sich an der grundsätzlichen Finanzpolitik nichts ändert, werden die Probleme nicht zu lösen sein – nicht in den Kommunen, nicht bei den Sozialausgaben, nicht bei der Gesundheitsversorgung.
Um das zu ändern müssten Sie auf ihre Parteien in Berlin Einfluss nehmen, dass das Geld nicht verschenkt wird, indem man auf eine Vermögenssteuer verzichtet und weiterhin Milliardäre mit Steuergeschenken geglückt.
Und sie müssten dringend etwas dagegen tun, dass Hunderte Milliarden in Rüstung verpulvert werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!